Frühlingserwachen (Winterwelt Trilogie) (German Edition)
Wasser auf. Während sie wartete, lehnte sie erschöpft an der Wand. Hätte sie in der Küche Platz genommen, so wäre sie vermutlich mit dem Kopf auf der Tischplatte eingeschlafen. Solange sie stand, würde ihr das nicht passieren – hoffte sie jedenfalls.
Draußen tobte die Wilde Jagd. Fenster und Türen klapperten, schamloses Gekicher ertönte und irgendein nervtötender alter Mann schrie ununterbrochen nach seinen Socken. Arrow wusste nicht im Geringsten, was das zu bedeuten hatte. Anfangs hatte sie sich noch die Frage gestellt, ob diese Person keine anderen Sorgen hätte. Mehrmals hatte sie an den Vorabenden schon ein zusammengeknotetes Paar ihrer eigenen Socken vor das Eingangstor gelegt, in der Hoffnung, dass er dann endlich die Klappe halten würde. Doch bisher war der Plan nicht aufgegangen.
Als das Wasser endlich fertig war, und Arrow ihren Tee aufgoss, kam ihr ein Gedanke. Sie schlug sich an die Stirn und rief: „Warum bin ich nicht gleich darauf gekommen?“
Flink lief sie zu einem der Fenster und öffnete die Läden. Von einem der Jagdblitze geblendet, konnte sie für einen Moment nichts sehen. Als die Umrisse endlich klarer wurden, wünschte sie sich sofort, niemals auf eine solch bescheuerte Idee gekommen zu sein.
Direkt vor ihr befand sich der General, der Arrow mit seiner hässlichen Fratze breit angrinste.
Anstatt die Läden wieder zuzuschlagen, öffnete Arrow auch noch das Fenster, und der Ekel erregende Gestank ihres Gegenübers hätte sie beinahe veranlasst, das Abendessen wieder hoch zu würgen. Aus ihr unerfindlichen Gründen wollte sie aber unbedingt Haltung bewahren und beherrschte sich mit aller Kraft.
„Ist Keylam bei euch?“, fragte sie erwartungsvoll.
Das Grinsen des Generals erstarb. Mit beinahe hilfloser Miene schüttelte er den Kopf.
„Habt ihr vielleicht andere Informationen über sein Verschwinden?“, bohrte Arrow weiter. „Wisst ihr etwas über seinen Tod?“
Der Blick des Generals durchbohrte Arrows Augen, als wollte er direkt in ihre Seele schauen. Doch sie hielt ihm Stand und machte keine Anstalten, Angst der Entschlossenheit vorzuziehen.
„Der Phönix ist nicht tot“, antwortete der General mit dunkler, Furcht einflößender Stimme. Und bevor Arrow sich versah, wandte er sich von ihr ab und packte einen hässlichen, fetten Mann, dessen Hände vollkommen blutverschmiert waren. Offensichtlich hatte der Kerl es auf Arrow abgesehen. Mit geweiteten Augen und Kampfgebrüll kam er auf sie zugeflogen. Und auch nachdem dieser Irre vom General gepackt wurde, wandte er seinen Blick nicht von ihr ab. Plötzlich hatte Arrow sehr viel mehr Angst vor diesem Mann als vor Frau Perchtas Gefolge. Panik breitete sich in ihr aus und lähmte sie derart, dass sie unfähig war, das Fenster zu schließen.
Da tauchte – wie aus dem Nichts – Frau Gaude auf. „Hast du sie noch alle?“, schrie sie Arrow an, schubste sie zurück und knallte die Läden zu.
Noch bevor Arrow begreifen konnte, was da gerade geschehen war, öffneten sich die Läden wieder einen Spalt breit, und ein halbes Dutzend Sockenpaare kamen auf sie zugeflogen. „Und lass gefälligst diesen Scheiß!“, hörte sie Frau Gaude rufen. Dann schlossen sich die Läden abermals. Der Lärm der Wilden Jagd entfernte sich und kurz darauf verkündete der Hahnenschrei den Beginn eines neuen Tages.
Grey schreckte auf, als es an Annes Schlafzimmer klopfte. Ohne eine Antwort abzuwarten, stürzte Arrow zur Tür hinein. Heftig atmend setzte sie sich zu ihrer Großmutter aufs Bett, die müde mit den Augen klimperte.
„Ist alles in Ordnung?“, fragte sie besorgt.
„Keylam ist nicht tot!“, antwortete Arrow aufgeregt.
Plötzlich war Anne hellwach. „Woher weißt du das?“, fragte sie hellhörig und setzte sich auf. Dann erzählte Arrow von den Erlebnissen der letzten Stunde. Währenddessen hörte ihre Großmutter genauestens zu. Weder stellte sie Fragen, noch nickte sie als Zeichen, dass sie folgen könne.
„Anne“, sprach Arrow mit leuchtenden Augen, „ich denke, dass du – was eine Reise in die Unterwelt angeht – Recht haben könntest.“
Liebevoll umklammerte sie die Hand ihrer Enkelin. „Kind, bitte sei so gut und wecke die anderen. Wir sollten reden.“
Bevor Arrow die Chance bekam, auch nur ein einziges Wort zu sagen, riss Sally die großen Küchenfenster weit auf.
„Anstatt deine Nase ständig nur in Bücher zu stecken, hättest du auch mal ein Bad nehmen können“, murmelte Harold ihr anstelle einer
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