Frühlingserwachen (Winterwelt Trilogie) (German Edition)
erfahren und sind dazu verdammt, es bis zu jenem Tag zu beklagen, an dem sie in die Unterwelt eintreten.“
„Das hört sich ziemlich ungerecht an“, erwiderte Adam wehmütig. „Obwohl man ihnen alles genommen hat, müssen sie auch noch die Verdammnis ertragen.“
„Einfach ist es nicht“, pflichtete Dewayne ihm bei. „Dennoch ist es die einzige Chance, den Verbrecher doch noch fassen zu können. Während der Wilden Jagd klagen die Gepeinigten ihr Leid und haben somit die Möglichkeit, andere zu warnen. Verbrechen können auf diese Weise aufgeklärt und die Schuldigen zur Strecke gebracht werden.“
Arrow grübelte. Während die anderen weiterhin nach Hinweisen in den Büchern suchten, ließ sie sich auf das Sofa vor dem großen Kamin sinken und streckte ihre Glieder von sich. Juna schlief friedlich in dem kleinen Bettchen, das Adam für sie gezimmert hatte. Es war ein Weihnachtsgeschenk für Neve und Dewayne gewesen. Arrow hatte der Hinweis auf das Fest der Liebe traurig gestimmt, denn dies hätte eigentlich ihr erstes Weihnachtsfest in dieser Welt werden sollen. Keylams Verschwinden hatte dieses Vorhaben dann völlig in Vergessenheit geraten lassen. Allerdings hätte Arrow es unter diesen Umständen auch nicht feiern wollen. Es hätte das Leid der schmerzhaften Umstände nur noch verstärkt.
„Du siehst nicht besonders glücklich aus“, stellte die Elfe mitfühlend fest.
Resignierend lehnte Arrow ihren Kopf an die weiche Rückenlehne. „Wir haben die größte Bibliothek im Umkreis von zehn Tagesreisen, und trotzdem enthält sie nicht das, was wir suchen.“
Beipflichtend nickte Neve. „Ein ungeschriebenes Gesetz – was man sucht, ist die Nadel im Heuhaufen der Dinge, die man nicht braucht.“
„Dies ist nicht die größte Bibliothek“, rief Anne ihrer Enkelin vom Sekretär aus zu. „Es gibt noch eine andere.“
Frau Gaude hatte es gar nicht lustig gefunden, als sich kurz vor dem Morgengrauen wieder einmal eines der Schlossfenster geöffnet hatte und Arrows Kopf hindurch lugte.
„Ich habe dir doch gesagt, dass du diesen Blödsinn lassen sollst! Der Dickwanst braucht keine Socken. Er hat sie nicht mehr Alle und kann froh sein, dass er seine restlichen Kleider behalten darf!“
Arrow verzog das Gesicht. Die Vorstellung, dass dieser übergewichtige Irre so vollkommen nackt durch die Landschaft fliegen und nebenbei nach Socken suchen könnte, wirkte nicht sonderlich verlockend. Da fragte sie sich, was ihr wohl mehr Angst einjagen würde, und schließlich fiel ihr nur noch die Merga ein.
„Äh nein ...“, stammelte Arrow. „Keine Socken. Ich habe eine Bitte.“
Die Weltenbibliothek
„Es ist das letzte Bisschen Schlafpulver“, sagte Anne mit zitternder Stimme. „Verwende es unter keinen Umständen für dich selbst. Es ist besser, einen Feind damit unschädlich zu machen.“ Während die alte Frau mit ihrer Enkelin sprach, strich sie ihr wiederholt über den Kopf. Der Abschied fiel ihr sichtlich schwer – wie so oft schon. Doch hatte sie es mittlerweile aufgegeben, Arrow von Reisen dieser Art abbringen zu wollen.
Dewayne hatte seine Schwester begleiten wollen, doch sogar davon riet Anne dringend ab. „Ein König muss hier die Stellung halten“, erklärte sie. „Noch weiß niemand außerhalb dieser Mauern über das Bescheid, was mit Keylam geschehen ist. Wir müssen den Anschein wahren, dass der Frühling in wenigen Wochen kommt. Dadurch gewinnen wir Zeit. Wenn die Leute erfahren, dass der ewige Winter erneut hinter dieser trügerischen Idylle lauert, bekommen wir Schwierigkeiten.“
„Traust du ihr etwa zu, dass sie auf sich selbst aufpassen kann?“, fragte der Elf vorwurfsvoll.
Anne schluckte. „Ich traue ihr zu, dass sie ihren Weg gehen wird.“
Gerührt von diesen Worten und dem Vertrauen, das ihre Großmutter in sie setzte, fiel Arrow ihr in die Arme. „In meinem Herzen wirst du immer mein kleines Mädchen sein“, flüsterte Anne so leise, dass keiner der Anderen es hören konnte.
Es war so seltsam. Jetzt, da Anne endlich akzeptiert hatte, dass sie erwachsen geworden war, und sie gehen ließ, fiel der Abschied weitaus schwerer als zu dem Zeitpunkt, da sie vor einigen Wochen zum Holunderwald aufgebrochen war. Damals war sie davon überzeugt gewesen, das Richtige zu tun und sicher nach Haus zurückzukehren. Dieses Mal fühlte es sich anders an. Es gab keine Wut oder Verärgerung über jemanden, der ihr etwas nicht zutraute. Jetzt war da nur Verständnis.
Natürlich
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