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Frühlingserwachen (Winterwelt Trilogie) (German Edition)

Frühlingserwachen (Winterwelt Trilogie) (German Edition)

Titel: Frühlingserwachen (Winterwelt Trilogie) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Stoye
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– und ein Gewimmel von Beinen veranstalten, wenn es gilt, das bisschen Leben zu retten.(...)

    Diese Worte bereiteten ihr eine Gänsehaut. Die Bilder tauchten direkt in Arrows Kopf auf. Wenn sie es nicht besser gewusst hätte, würde sie meinen, ein Hörrohr an Charles Dickens’ Kopf gehalten zu haben. Es war ein unbeschreibliches Erlebnis und löste das Gefühl der Unbesiegbarkeit in ihr aus sowie die Empfindung, Bäume ausreißen zu wollen … – natürlich nur im übertragenen Sinne. Auf einmal war alles wieder von Bedeutung. Die Sache erschien nicht mehr aussichtslos, sondern ungeschrieben und alles war möglich.
    Als Arrow das Buch zuklappte bemerkte sie die flackernde Kerze auf ihrem Nachttisch. Shoes hatte doch gesagt, dass Kerzen nur zu Dekorationszwecken aufgestellt wurden und unter gar keinen Umständen angezündet werden durften. Und Arrow war mehr als sicher, sich an diese Anweisung gehalten zu haben. Verwundert blies sie die Flamme aus und legte sich dann – noch immer Feuer und Flamme für die Worte von Charles Dickens – schlafen. Mit den leisen Pfiffen des Windes, der draußen vor den Fenstern tobte, schlummerte sie friedlich ein.
    In der Nacht träumte Arrow von der Kirche und dem Wind, der darin sein Unwesen trieb. Fasziniert stand sie zwischen den Sitzreihen und ließ das verschwommene Wesen keine Sekunde aus den Augen. Immer wieder fegte er über den Altar, durch die Kronleuchter, hoch an die Decke und wieder zurück. Und plötzlich packte er Arrow am Arm und zog sie mit sich. Mit einem schrillen Jubelschrei ließ sie verlauten, welch einen Spaß ihr dieser Flug bereitete. Wieder und wieder ging es auf und ab, um die Glocken und an den Vogelnestern vorbei. Die Blätter eines aufgeschlagenen Buches wirbelten vor und zurück, und ein Kerzenleuchter wurde vom Altar gefegt.
    Das Glücksgefühl war unvorstellbar. Bisher hatte sie ihre Kräfte lediglich zum Reisen genutzt, doch diese Fähigkeit für einen kleinen Schabernack zu gebrauchen, wäre ihr nie in den Sinn gekommen.
    Ohne jede Vorwarnung ließ der Wind sie los und fuhr mit einem gruseligen Kichern durch den Beichtstuhl. Anschließend malte er einem betrübt dreinschauenden Holzengel mit leuchtend roten Kerzenwachsresten eine komische Fratze an. Arrow zerfetzte derweil eine kunstvoll zusammengeknotete Blumengirlande und verstreute die Blüten im ganzen Raum. Der Wind lachte über ihre Kühnheit und verschwamm anschließend vor ihren Augen – genau wie die Kirche und die Umrisse eines fahlen Mannes, der sie von einer dunklen Ecke aus beobachtete.

    Als Arrow erwachte, duftete es schon nach frischen Brötchen und süßem Honig. Und während das Gekicher des Windes noch immer in ihren Erinnerungen nachklang, verblasste das Gesicht des Fremden und verschwand schließlich ganz.
    „Guten Morgen“, begrüßte Shoes sie mit einem erwartungsvollen Lächeln, und als Arrow ihre Augen öffnete, sah alles plötzlich ganz anders aus.
    „Erzähl mir von dem Buch“, bat er ungeduldig. „Wie hat es dir gefallen?“
    Doch Arrow konnte nicht antworten. Als befände sie sich in einer unwirklichen Welt schaute sie neugierig zu allen Seiten. Irgendetwas war anders an diesem Morgen, aber sie konnte sich selbst nicht erklären, was es war.
    Die Bücher standen noch immer verstaubt in ihren Regalen, die Sonne schien noch immer durch die Fenster, und das brechende Licht ihrer Strahlen wurde noch immer von den Kristallen in Regenbögen und feine Klänge umgewandelt.
    „Arrow?“, sprach der Gnom sie an, und als sie ihn ansah, verblasste sein Lächeln für einen Moment und wich unfassbarem Staunen. „Es hat funktioniert“, flüsterte Shoes.
    Für die anderen Gäste der Weltenbibliothek war es ein ungewöhnlicher Morgen, denn zum ersten Mal mussten sie auf die erheiternden Worte ihres immer gut gelaunten Gastgebers verzichten. Dieses Mal kümmerte sich seine Frau ganz allein um das Frühstück und reichte den Tee schweigend, jedoch mit einem freundlichen Lächeln.
    Shoes nahm Arrow mit in seine Privaträume. Viele Schilder mit den Aufschriften 'keine Bücher', 'privat', 'mach 'ne Fliege' und ‘sieh zu, dass du Land gewinnst' hatten darauf hingewiesen, dass Gäste und Besucher in diesem Bereich der Bibliothek unerwünscht waren. Shoes hatte sogar einen Zauber von dem Eingang nehmen müssen, damit Arrow hinein gehen konnte. Allerdings kam wider Erwarten kein kuscheliges Wohnzimmer mit Schlafbereich und Kochmulde zum Vorschein. Vielmehr glich es einer alten

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