Frühlingserwachen (Winterwelt Trilogie) (German Edition)
damit gleichzeitig einem guten Freund einen Gefallen getan – hoffte sie jedenfalls.
Mit einigen Handgriffen schaffte der Gnom auf dem Fußboden Platz, wo er sich dann mit der Lederrolle niederließ. „Komm her“, forderte er sie auf.
Neugierig setzte Arrow sich zu ihm und wartete ab, was passieren würde. Mit leuchtenden Augen und unüberschaubarer Behutsamkeit wickelte Shoes die Rolle auf und entnahm daraus zwei unbeschriebene Blatt Papier.
„Das“, erklärte er geheimnisvoll, „sind die beiden letzten Papierblätter, die aus dem Holz des Weltenbaumes gefertigt wurden.“
„Yggdrasil“, flüsterte Arrow ehrfürchtig. „Die Esche, die den gesamten Kosmos verkörpert?“
Der Gnom nickte. „Dieses Papier ist ebenso wertvoll wie die Schuhe, die du in diesem Moment an deinen Füßen trägst.“
Fragenden Blickes betrachtete Arrow ihr Schuhwerk. Wie so oft hatte sie auch dieses Mal die ungleichen Schuhe an, welche sie einst von dem in der Menschenwelt lebenden Gnom Socks geschenkt bekommen hatte. Eigentlich hätte Arrow sie viel lieber in Ehren gehalten und zu einer Art Sonntagsschuh auserkoren, doch dafür waren sie einfach viel zu bequem.
„Nur ein einziges Mal“, erklärte Shoes bedeutungsvoll, „ist es jemandem gelungen, ein Tier, das unmittelbar mit dem Weltenbaum in Verbindung steht, zu erlegen. Meinem Bruder wurden damals sehr viel Geld und andere Reichtümer für das Schlangenleder geboten. Doch er wusste, dass es in den falschen Händen eine verheerende Wirkung haben könnte. Letzten Endes hatte er in die Menschenwelt fliehen müssen, da er und das Leder hier nicht länger sicher waren.“
„Socks ist dein Bruder?“, entgegnete Arrow erstaunt. „Und du sagst, dass er mir Schuhe aus dem kostbarsten Leder der Welt gefertigt hat?“
Shoes nickte. „Das kostbarste Leder – dieser, jener und auch aller anderen Welten.“
„Und warum hast du nie etwas gesagt? Ich hatte ja keine Ahnung, welch ein Schatz sich hinter diesen Schuhen verbirgt. Um Himmels Willen – wenn ich daran denke, wie oft ich sie achtlos irgendwo stehen gelassen habe. Hätte es irgendjemand bemerkt, wäre er mit diesen Schuhen längst über alle Berge verschwunden!“
„Sie hatten einen besonderen Wert für dich“, entgegnete der Gnom mit einem sanften Lächeln. „Vielleicht nicht denselben Wert wie für andere, die darauf scharf waren. Doch in deinen Augen habe ich sehr wohl sehen können, wie wichtig sie dir sind. Das Geschenk eines Freundes, den du auf ewig in deinem Herzen bewahren wirst.“
„Das war er“, bemerkte Arrow voller Dankbarkeit. „Ich weiß nicht, wo ich heute ohne ihn wäre.“ Wieder betrachtete sie ihre Schuhe und schwelgte für den Bruchteil eines Augenblicks in freundlichen Erinnerungen, bevor ihr wieder unzählige Fragen in den Kopf schossen. „Und du bist dir ganz sicher, dass Socks diese Schuhe aus dem besagten Schlangenleder gefertigt hat?“
„Daran gibt es keinen Zweifel. Zugegeben – er hat die Hinweise geschickt verstecken können, weshalb es nur den Wenigsten auffallen dürfte. Aber ich kenne die Arbeiten meines Bruders sehr genau, und ich werde den Tag, da wir diese Schlange erlegt haben, niemals vergessen. Es war allein unser Glück, dass sie nicht zu den Ranghöchsten der Yggdrasil-Schlangen gehörte. An jenem Tag mussten wir den Eid ablegen, nie wieder der Ausbeutung wegen zu töten, und das betrifft sowohl Tier als auch Baum. Es hat die Sache schwieriger gemacht, doch ich habe es nie bereut.“
„Und was genau können diese Schuhe?“, fragte Arrow skeptisch.
„Unbesiegbar machen sie dich schon mal nicht. Falls du das denkst, kannst du es dir gleich wieder abschminken. Allerdings kannst du mit ihnen auf den unbeständigsten Arten von Böden wandeln, und sie machen dich für die Bewohner anderer Welten achtbar. Solltest du also wirklich irgendwann Eintritt in das Reich der Hel bekommen, so darfst du diese Schuhe dort unter keinen Umständen ausziehen. Durch sie wird dir dort etwas Irdisches anhaften. Du bist dann kein wirklicher Feind. Allerdings solltest du auch nicht damit rechnen, dort willkommen geheißen zu werden. Aber diese Schuhe werden es dir auf jeden Fall ermöglichen, dass sie dich für eine von ihnen halten.“
„Und was mache ich mit dem Papier?“
„Damit musst du dich auf die Suche nach der Göttin Perseis machen, besser bekannt unter dem Namen Hekate. Sie residiert im Morgenroten Meer. Gerade mal eine Hand voll Leute kennen ihren Aufenthaltsort, denn
Weitere Kostenlose Bücher