Frühlingserwachen (Winterwelt Trilogie) (German Edition)
sein. Allerdings ist es von allerhöchster Wichtigkeit, dass du den Schlüssel heute Nacht weiter schmiedest.“
Mit diesen Worten war sie erwacht.
Jetzt wusste Arrow, wann sie aufbrechen würde. Doch weit mehr Kopfzerbrechen bereitete es ihr, dass die unheimliche Stimme in ihrem Kopf nun auch noch ein Gesicht besaß. Natürlich hatte sie diesen Mann zuvor schon in ihren Träumen gesehen. Doch da hatte sich noch nicht gezeigt, dass er es war, der auch außerhalb ihrer Schlafphasen zu ihr sprach. Was würde als nächstes geschehen? Sie hatte ihn in ihren Träumen gesehen. Würde er bald auch außerhalb ihres Kopfes in der Realität existieren? Entstand er vielleicht sogar auf die gleiche Weise wie sie? Aber einen solch seltsamen Begleiter hatte sie sich nicht gewünscht – nicht einmal ein bisschen. Für ihre eigene Erschaffung hatte es weit mehr gebraucht. Doch vor allem bestand ihr größter Wunsch nicht darin, einen Weggefährten an ihrer Seite zu haben. Sie sehnte sich einzig und allein danach, Keylam wieder nach Hause zu holen.
Arrow schüttelte den Kopf und setzte sich auf. Sie wusste ganz genau, dass dies nicht der Wahrheit entsprach. Es gab noch etwas Anderes, das sie sich weitaus mehr wünschte, doch obwohl dies die oberste Priorität in ihrem Herzen besaß, hatte sie es in ihrem Verstand auf den zweiten Platz gesetzt. Im Moment war es das Wichtigste, einen kühlen Kopf zu bewahren und sich nicht vom Weg abbringen zu lassen.
Beim Verlassen des Turmzimmers hörte Arrow, wie Neve und Dewayne miteinander stritten. Die Elfe stand alle möglichen Ängste aus – war der Vater ihres Kindes doch kurz davor, die Welt der Toten zu betreten.
Immer wieder versuchte Dewayne, ihr zu erklären, dass er das tun musste, weil er Angst um seine Schwester hatte.
Für Arrow gehörte diese Auseinandersetzung nicht zu den Dingen, die sie im Moment gebrauchten konnte, und so setzte sie ihren Weg in die Bibliothek fort. Noch war die Wintersonne nicht untergegangen. Ihre Strahlen fluteten die Hallen. Und der Gedanke, dass Arrow dies alles möglicherweise zum letzten Mal sehen würde, tauchte die wunderschönen Wandgemälde und die Pflanzen, welche zum Überwintern im Schloss untergebracht waren, in ein ganz anderes Licht. Es war magisch – es war zu Hause. Seit Elmtree hatte sie sich nicht mehr so an einem Ort heimisch gefühlt. Natürlich war es auch schon woanders schön gewesen – die Hütte, in der sie über zwei Jahre mit Anne gelebt hatte, der Kristallpalast im Elfenreich und vor allem die Weltenbibliothek. Doch so schön wie in diesem Schloss war es nirgendwo.
Von jeder Wand schauten ihr geliebte und vertraute Gesichter entgegen. Einige dieser Personen hatte sie nie persönlich kennen gelernt, doch von allen wurden ihr Geschichten zugetragen. Teilweise waren es keine besonders spektakulären Berichte, auf der anderen Seite gab es jedoch die eine oder andere Erzählung, die in Arrow eine Art Verbundenheit mit der betreffenden Person auslöste.
Unbewusst hatte sie ihr Weg zu Keylams Gemälde geführt und mit Erschrecken musste sie feststellen, dass sie beinahe vergessen hätte, wie schön er aussah und wie sehr sie noch immer in ihn verliebt war. Es hatte sie immer durcheinander gebracht, an ihn denken zu müssen, deshalb hatte sie ihn aus ihren Gedanken gestrichen – so gut es ging. Er hatte sie noch nicht einmal in ihren Träumen besucht. Einzig der Traumbild-Keylam war ihr erschienen und auf seine Frage, ob sie nicht auf seiner Beerdigung hätte sein sollen, hätte Arrow gut verzichten können.
Alles, was ihr geblieben war, waren die Schneeglöckchen. Aber waren sie denn überhaupt von Keylam? Plötzlich kamen ihr Zweifel.
Arrow atmete durch. Schluss mit den wirren Gedanken und nicht zu beantwortenden Fragen! Morgen würde sie in die Unterwelt aufbrechen und nicht ohne ihn zurückkehren.
Schnellen Schrittes ging sie in die Küche, wo Sally schon das Abendessen zubereitete. Ohne großartig darüber nachzudenken, schnappte sie sich ein Messer und leistete der Köchin Gesellschaft.
Sally wirkte sehr in sich gekehrt. Vermutlich ging es ihr nicht anders als Arrow, doch während diese sich fragte, ob sie das Schloss und ihre Lieben je wieder sehen würde, stellte sich die Köchin vermutlich die Frage, ob sie Arrow jemals wieder treffen würde.
Wortlos arbeiteten sie beide vor sich hin, während nach und nach immer mehr freiwillige Arbeiter dazu kamen – erst Adam, dann Dewayne, später die völlig verweinte Neve
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