Frühlingserwachen (Winterwelt Trilogie) (German Edition)
länger warten!“
„Wir?“, murmelte sie skeptisch.
„Geht es dir nicht gut?“, fragte Bon und wirkte regelrecht erschrocken, als er sah, wie Arrow bei seinen Worten zusammenzuckte.
„Äh ... Naja, langsam kommt die Aufregung“, entgegnete sie mit einem wenig überzeugenden Lächeln. Ihr entging nicht, wie wenig glaubhaft diese Aussage auf den Riesen gewirkt hatte. Deshalb fügte sie mit gefasster Miene hinzu: „Ich glaube, ich wäre gern einen Moment allein.“
Bon nickte misstrauisch. „Aber entferne dich bitte nicht allzu weit. Bleib in Reichweite, damit wir dich rufen können, wenn es doch früher losgeht.“
„Eigentlich wäre ich lieber kurz hier allein“, stammelte Arrow, während sie voller Nervosität versuchte, den Blicken des Riesen auszuweichen.
Bon runzelte die Stirn. „Was ist denn an diesem Ort so anders als an den anderen?“
Hilfesuchend schaute Arrow sich um. Was war hier anders? Was gab es hier, das es nirgendwo sonst im Schloss gab? Das Tor in die Unterwelt – wäre die richtige Antwort gewesen. Stattdessen antwortete sie: „Mein Vater ...“, und deutete schnell auf Melchiors Wandgemälde. „Ich wäre gerne noch einen Moment mit ihm allein.“
Bon traute seiner Freundin nicht – das war unübersehbar. Eine gefühlte Ewigkeit lang schaute er ihr prüfend in die Augen.
„Bitte Bon“, erwiderte Arrow flehend. „Vielleicht sehe ich ihn heute zum letzten Mal, und ich möchte mich gern von ihm verabschieden. Du weißt doch, wie wichtig mir das ist.“
„Du willst dich von einem Bild verabschieden?“, entgegnete der Riese skeptisch.
Arrows Augen verengten sich. Natürlich hatte sie Bon mit dieser Erklärung eine Lüge aufgetischt, trotzdem konnte sie kein Verständnis dafür aufbringen, wenn jemand sie für ihre Art zu Trauern durch den Kakao zog. Denn in ihren Gedanken war sie sehr oft bei ihrem Vater und hatte ihm schon unzählige Male gesagt, wie sehr sie ihn liebte, und dass sie ihn noch immer schrecklich vermisste. „Wenn ich die Wahl hätte, würde ich es auch lieber dem Original sagen“, erwiderte sie zornig. „Wie du weißt, gibt es diese Option aber nicht.“
Widerwillig gab Bon nach. „Gut. Aber beeile dich bitte. Ich traue der Höllenbrut nicht über den Weg und lasse dich nur sehr ungern hier allein.“
Wenige Augenblicke später waren alle aus der Bibliothek verschwunden und die Türen verschlossen. Erleichtert atmete Arrow aus. „Das hätte auch einfacher gehen können“, murmelte sie.
„Komm jetzt“, hörte Arrow die fremde Stimme sagen. „Öffne das Tor.“
Eilig warf sie sich ihre Tasche über die Schulter und schmiß den Schlüssel in das Feuer. Einen Moment später hörte sie, wie sich die Türen der Bibliothek von selbst versperrten und es anschließend klopfte. Doch es war kein normales Klopfen, sondern ein gewaltiges Hämmern an einer unsichtbaren Pforte. Schreckhaft zuckte Arrow zurück.
„Nun öffne es schon!“, rief die Stimme. „Der Bote wartet!“
Hilfesuchend schaute Arrow sich um. „Wer bist du?“, rief sie ängstlich, während es jetzt auch hinter den Bibliothekstoren dumpf hämmerte und schabte. Und plötzlich erschien eine schwache Silhouette vor ihren Augen. „Das ist jetzt nicht wichtig. Öffne das Tor!“
„Ich weiß nicht, wie!“
„Du musst den Schlüssel benutzen!“
„Schlüssel?“, entgegnete Arrow verzweifelt. „Ich habe ihn doch schon in s Feuer geworfen und ansonsten nur noch den für das Turmzimmer dabei.“
„Dieses Tor öffnet man nicht einfach mit gewöhnlichem Metal“, erwiderte die Gestalt. „Der Schlüssel fließt in deinen Adern!“
Gesagt, getan. Umgehend zückte Arrow ihr Messer und schnitt sich in den Arm. Und als die roten Tropfen ins Feuer und durch den Bart des Schlüssels fielen, verschwanden sie sogleich und die Flammen breiteten sich im Raum aus. Reflexartig stolperte Arrow nach hinten, als plötzlich jemand aus der Mitte des Feuers trat.
„Frau Gaude?“, bemerkte sie ungläubig.
„Bist du bereit“, fragte Frau Gaude gefasst.
„Ich glaube nicht“, entgegnete Arrow gerade heraus.
„Auch egal“, winkte Frau Gaude ab. „Du kannst ohnehin nicht mehr zurück.“
Arrow schluckte. „Zum Glück – ansonsten würde ich es mir jetzt noch einmal anders überlegen.“
„Sei still und höre genau auf das, was ich dir jetzt zu sagen habe“, erwiderte Frau Gaude. Als sie zur Seite trat, kam hinter ihr ein Pferd zum Vorschein, dessen Fell mit Asche bestreut war. Es hatte acht
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