Frühstück bei Tiffany
seine braunen, vertrockneten Zweige streckten sich breit in einem wirren Durcheinander von zerrissenen Büchern, zerbrochenen Lampen und Schallplatten. Selbst der Eisschrank war geleert worden, sein Inhalt im Raum verstreut - rohe Eier glitschten die Wände hinunter, und inmitten der Trümmer leckte Hollys namenloser Kater geruhsam eine Milchpfütze auf.
62
Im Schlafzimmer ließ mich der Geruch zerschmissener Parfümflaschen nach Luft schnappen. Ich trat auf Hollys dunkle Brille, sie lag auf dem Boden, die Gläser bereits zersplittert, das Gestell halb durchgebrochen.
Vielleicht kam es daher, daß Holly, eine starre Gestalt auf dem Bett, Jose aus so blinden Augen anstarrte, den Doktor nicht zu sehen schien, der, ihren Puls prüfend, beruhigend summte: «Sie sind eine müde junge Dame. Sehr, sehr müde. Sie möchten gern schlafen, nicht wahr? Schlafen.»
Holly rieb sich über die Stim, was einen verschmierten Blut
streifen aus einem Schnitt im Finger hinterließ. «Schlafen», sagte
sie, wimmernd wie ein übermüdetes, schlechtgelauntes Kind. «Er
war er einzige, bei dem ich's konnte. Mich ankuscheln in kalten Nächten
Ich habe einen Platz in Mexico gesehen. Mit Pferden. Am Meer.»
«Mit Pferden am Meer», sang der Doktor einschläfernd und wählte eine Spritze aus seiner schwarzen Tasche.
Jose wandte das Gesicht ab, empfindlich gegen den Anblick der Nadel. «Ihre Krankheit ist nur Trauer?» erkundigte er sich, und sein mühsames Englisch lieh der Frage unbeabsichtigte Ironie. «Sie trauert nur?»
«Na, kein bißchen weh getan, nicht wahr?» wollte der Doktor wissen, während er Hollys Arm selbstzufrieden mit einem Fetzchen Watte abtupfte.
Sie kam so weit zu sich, um den Doktor schärfer ins Auge zu fassen. «Alles tut weh. Wo ist meine, Brille?» Aber sie brauchte sie nicht mehr. Ihre Lider schlossen sich bereits von selber.
«Das ist nur Trauer?» beharrte Jose.
«Bitte, Herr» - der Doktor war recht kurz mit ihm. -
«wenn Sie mich bitte mit der Patientin allein lassen wollen.»
Jose zog sich ins Wohnzimmer zurück, wo er seinen Zorn an der spionierenden, auf Zehenspitzen herumschleichenden Gegenwart der Madame SpaneIla ausließ. «Rühren Sie mich nicht an! Ich rufe die Polizei», drohte sie, als er sie mit portugiesischen Flüchen zur Tür davontrieb.
Er zog in Betracht, auch mich hinauszuwerfen, so vermutete ich jedenfalls seiner Miene nach.
63
Statt dessen lud er mich jedoch zu einem Drink ein. Die einzige unzerbrochene Flasche, die wir finden konnten, enthielt herben Wermut. «Ich habe eine Sorge», vertraute er mir an. «Ich habe eine Sorge, daß dies einen Skandal verursachen möchte. Ihr Kaputtschlagen. Sich aufführen wie eine Verrückte. Ich darf keinen Skandal in der Öffentlichkeit haben. Es ist zu prekär - mein Name, meine Arbeit.»
Er schien erfreut, als er vernahm, daß ich keinen Grund für einen «Skandal» erblickte; sein eigenes Besitztum zu zerstören war, vermutlicherweise, Privatsache.
«Es handelt sich ja nur um Betrübtsein», erklärte er bestimmt. «Als die Trauer kam, wirft sie zunächst das Glas, aus dem sie trank. Die Flasche. Jene Bücher. Eine Lampe. Dann bekomme ich Angst. Ich eile, einen Doktor zu holen.»
«Aber warum?» wollte ich wissen. «Warum muß sie wegen Rusty einen Tobsuchtsanfall kriegen? Wenn ich sie wäre, würde ich feiern.»
«Rusty?»
Ich trug noch immer die Zeitung bei mir und zeigte ihm die Überschrift.
«Ach das.» Er grinste ziemlich verächtlich. «Sie tun uns einen großen Gefallen, Rusty und Mag. Wir lachen über sie - wie sie denken, sie brechen uns das Herz, wenn wir doch die ganze Zeit nur wünschten, daß sie weglaufen möchten. Ich versichere Ihnen, wir haben gelacht, als die Trauer kam.» Seine Blicke durchforschten den auf dem Boden herumliegenden Kram; er hob einen gelben Papierball auf. «Dies», sagte er.
Es war ein Telegramm aus Tulip, Texas: Nachricht erhalten Fred drüben im Kampf gefallen stop Dein Mann und Kinder trauern mit um gemeinsamen Verlust stop Brief folgt Gruß Dok.
Holly erwähnte ihren Bruder niemals wieder - bis auf ein einziges Mal. Darüber hinaus hörte sie auch auf, mich Fred zu nennen. Den Juni, Juli, all die warmen Monate über verkroch sie sich wie ein Tier im Winterschlaf, das nicht wußte, der Frühling sei gekommen und vergangen. Ihr Haar dunkelte nach, sie nahm an Gewicht zu. Sie wurde recht nachlässig in ihrer Kleidung pflegte zum Kaufmannsladen nebenan im Regenmantel zu sausen mit nichts
Weitere Kostenlose Bücher