Frühstück bei Tiffany
Dok, es ist besser, zum Himmel hinaufzuschauen, als dort zu leben. Welch leerer Fleck, so unbestimmt. Nichts als eine Gegend, wo es donnert und Dinge hineinverschwinden.»
TRAWLER ZUM VIERTENMAL VERHEIRATET. Ich war irgendwo in Brooklyn auf der Untergrundbahn, als ich die Überschrift sah. Die Zeitung, die es mir entgegenschwenkte, gehörte einem anderen Fahrgast. Das einzige Stück Text, das ich erkennen konnte, hieß:
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Rutherford «Rusty» Trawler, der bekannte Millionenerbe, dem man verschiedentlich Nazi-Sympathien nachsagt, entführte gestern nach Greenwich die reizvolle - Nicht, daß mir daran gelegen hätte, mehr zu lesen. Holly hatte ihn geheiratet - also schön. Ich wünschte, ich läge unter den Rädern des Zuges. Aber das hatte ich mir schon gewünscht, ehe ich die Überschrift entdeckte. Aus einer Unzahl von Gründen. Holly hatte ich nicht mehr gesehen, nicht richtig, seit unserem trunkenen Sonntag in Joe Bells Wirtschaft. Die dazwischenliegenden Wochen hatten mir meinen eigenen Anfall des roten Grausens verschafft. Erstens einmal war ich aus meiner Stellung geflogen - verdientermaßen und wegen eines amüsanten Vergehens, das allzu kompliziert war, um es hier zu berichten. Zudem bezeigte mein Rekrutenamt ein unbehagliches Interesse, und nachdem ich erst kürzlich dem Reglement einer Kleinstadt entkommen war, brachte mich der Gedanke des Eintritts in eine andere Form strenggeregelten Lebens zur Verzweiflung. Mitten zwischen der Unsicherheit meiner Lage wegen des Eingezogenwerdens und einem Mangel spezifischer Berufserfahrungen schien ich keine neue Stellung finden zu können. Das war's, was ich auf der Untergrund in Brooklyn machte: ich kam von einer entmutigenden Besprechung mit einem Redakteur der nunmehr verschiedenen Zeitung PM. Zusammen mit der Stadthitze des Sommers hatte mich dies alles in einen Zustand nervöser Erschlaffung versetzt. Also meinte ich es gut zur Hälfte ernst, als ich wünschte, unter den Rädern des Zuges zu liegen. Die Überschrift machte das Verlangen danach noch bestimmter. Wenn Holly diesen «absurden Embryo» heiraten konnte, dann mochte die Heerschar des Verkehrten, das in der Welt überhandnahm, von mir aus auch über mich hinwegmarschieren. Oder und diese Frage liegt auf der Hand - war meine Empörung ein wenig die Auswirkung dessen, daß ich selber in Holly verliebt war? Ein wenig. Denn ich war in sie verliebt. Genauso, wie ich früher einmal in die ältliche Negerköchin meiner Mutter verliebt gewesen war und in den Briefträger, der erlaubte, daß ich ihm auf seinen Runden nachlief, und in eine ganze Familie namens McKendrick. Diese Art von Liebe erzeugt auch Eifersucht.
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Als ich an meiner Station ankam, kaufte ich eine Zeitung und entdeckte beim Lesen des Satzendes, Rustys Braut sei die reizvolle Titelblatt-Schönheit aus den Bergen von Arkansas, Miss Margaret Thatcher Fitzhue Wildwood. Mag! Vor lauter Erleichterung wur_ den meine Beine so schlapp, daß ich mir für den Rest des Heimwegs eine Taxe nahm.
Madame Sapphia SpaneIla kam mir im Treppenhaus entgegen, wildblickend und mit gerungenen Händen. «Los», sagte sie, «und holen Sie die Polizei. Sie bringt jemand um! jemand bringt sie um!»
Es klang so, als ob Tiger loswären in Hollys Wohnung. Ein Krach von splitterndem Glas, ein Poltern und Fallen und umkippende Möbel. Aber man hörte keine streitenden Stimmen in all dem Aufruhr, was ihn unwirklich erscheinen ließ. «Laufen Sie», schrie Madame Spanella in höchsten Tönen und stieß mich fort. « Sagen Sie der Polizei: ein Mord!»
Ich lief, aber nur hinauf an Hollys Tür. Dagegendonnern hatte ein Resultat: der Krach ließ nach. Hörte ganz auf. Doch mein Flehen, mich einzulassen, blieb unbeantwortet, und meine Bemühungen, die Tür einzudrücken, kulminierten lediglich in einer zerschundenen Schulter. Dann hörte ich unten Madame SpaneIla jemand Neuhinzugekommenen kommandieren, zur Polizei zu gehen. «Halten Sie den Mund», wurde ihr erklärt, «und gehen Sie mir aus dem Wege.»
Es war Jose Ybarra-Jaeger. Keineswegs der elegante brasilianische Diplomat, sondern verschwitzt und voller Angst. Er kommandierte auch mich aus seinem Wege, und indem er seinen Schlüssel benutzte, machte er die Tür auf. «Hier herein, Dr. Goldman», sagte er und winkte einem Manne, der ihn begleitet hatte.
Da mich niemand abhielt, folgte ich ihnen in die Wohnung, die fürchterlich zusammengeschlagen war. Endlich war der Christbaum abgeputzt, höchst buchstäblich -
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