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Frühstück bei Tiffany

Frühstück bei Tiffany

Titel: Frühstück bei Tiffany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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ihn aus leeren Augen an, als wisse sie nicht recht, wohin mit ihm. «Holla, Süßes», sagte er, «geben sie dir hier nichts zu essen? Du bist so klapprig. Ganz wie ich dich kennenlernte. Nur noch Augen. » Holly berührte sein Gesicht, ihre Finger ertasteten die Realität seines Kinns, seiner Bartstoppeln. «Hallo, Dok», sagte sie sanft und küßte ihn auf die Wange. «Hallo, Dok», wiederholte sie glücklich, als er sie in einer rippenzerquetschenden Umarmung in die Luft hob. Lautausbrechendes, befreites Gelächter erschütterte ihn. «Mein Gott, Lulamae. In Ewigkeit Amen.»
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    Keiner von beiden merkte, daß ich mich an ihnen vorbeidruckte und hinauf in mein Zimmer ging. Ebensowenig schienen sie gewahr zu werden, daß Madame Sapphia SpaneIla ihre Tür aufgemacht hatte und kreischte: «Ruhe hier draußen l Es ist eine Schande. Sucht euch einen andern Platz für eure Hurerei!»
    «Scheiden lassen? Natürlich habe ich mich nie von ihm scheiden lassen. Ja um Himmels willen, ich war doch erst vierzehn. Das kann doch nicht gültig gewesen sein.» Holly klopfte an ein leeres Martiniglas. «Noch zwei, mein sehr geliebter Mr. Bell.»
    Joe Bell, in dessen Wirtschaft wir saßen, nahm die Bestellung widerwillig entgegen. «Sie schaukeln das Schiff 'n bißchen reichlich früh», beklagte er sich, auf seiner Magenpille kauend. Zufolge der dunklen Mahagoni-Uhr hinter der Theke war es noch nicht Mittag, und er hatte uns bereits drei Runden vorgesetzt. «Aber es ist doch Sonntag, Mr. Bell. Sonntags gehen die Uhren nach. Außerdem bin ich bisher noch nicht im Bett gewesen», erklärte sie ihm und gestand mir: «Nicht zum Schlafen.» Sie wurde rot und blickte schuldbewußt zur Seite. Zum ersten Male, seit ich sie kannte, schien sie das Bedürfnis zu fühlen, sich zu rechtfertigen: «Na ja, ich mußte doch. Dok liebt mich nämlich wirklich. Und ich liebe ihn. Für Sie mag er alt und schäbig ausgesehen haben. Aber Sie wissen eben nicht, wie rührend er ist, wieviel Vertrauen er Vögeln und Kindern und all solch schwachen Geschöpfen einflößt. Jedem, der Ihnen einmal Vertrauen eingeflößt hat, dem schulden Sie eine Menge. Ich habe Dok immer in mein Gebet mit eingeschlossen. Bitte, lassen Sie das dreckige Grinsen!» forderte sie, indem sie ihre Zigarette ausdrückte. «Ich vergesse nie zu beten.»
    «Ich habe nicht dreckig gegrinst. Ich habe gelächelt. Sie sind eine höchst erstaunliche Person.»
    «Ich glaube, das bin ich», sagte sie, und ihr Gesicht, das im morgendlichen Licht blaß und recht zerschlagen wirkte, strahlte auf; sie strich ihr verwuscheltes Haar glatt, und seine Farben schimmerten wie eine Schampun-Reklame. «Ich muß grausam aussehen. Aber wer würde nicht? Wir sind den Rest der Nacht in einem Busbahnhof herumgezogen.
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    Bis zur allerletzten Minute dachte Dok, ich würde mit ihm kommen. Obwohl ich ihm unentwegt erklärte: «Aber Dok, ich bin doch nicht mehr vierzehn, und ich bin nicht Lulamae.» Aber das Schreckliche ist (und mir wurde es klar, als wir da beisammenstanden): ich bin es! Noch immer stibitze ich Puteneier und renne durchs Gestrüpp. Nur sage ich jetzt dazu: ich habe das rote Grausen.»
    Joe Bell setzte voll Verachtung die frischen Martinis vor uns hin.
    «Verlieren Sie Ihr Herz niemals an etwas Wildes, Ungezähmtes, Mr. Bell», riet ihm Holly. «Das war Doks Fehler. Immer brachte er so etwas mit heimgeschleppt. Einen Habicht mit geknicktem Flügel. Einmal eine ausgewachsene Wildkatze mit einem gebrochenen Bein. Aber man soll sein Herz nicht an solch wildes Zeug verlieren - je mehr man das tut, desto stärker werden die. Bis sie stark genug sind, um davonzulaufen, fort in den Wald. Oder auf einen Baum fliegen. Dann einen höheren Baum. Dann den Himmel. So wird's zum Schluß ausgehen, Mr. Bell. Wenn Sie ihr Herz an solch ein wildes Tier verlieren. Dann schauen Sie nur zum Schluß hinauf in den Himmel.»
    «Sie ist betrunken», belehrte mich Joe Bell.
    «Mit Maßen», gestand Holly. «Aber Dok wußte, was ich meinte. Ich hab' es ihm ganz vorsichtig erklärt, und es war etwas, das er begreifen konnte. Wir haben uns die Hände geschüttelt und einander festgehalten, und er hat mir Glück gewünscht. » Sie blickte auf die Uhr. «Er muß jetzt schon in den Blauen Bergen sein.»
    «Wovon redet sie eigentlich?» erkundigte sich Joe Bell bei mir.
    Holly hob ihren Martini. «Wollen wir dem Dok auch Glück wünschen», sagte sie und stieß ihr Glas gegen das meine. «Viel Glück - und glaub mir, geliebter

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