Frühstück im Bett
wollen, was er bei der Arbeit daran empfunden habe und dass es schon lange vor ihrer Rückkehr nach Parrish fertig gewesen sei. Am allerwichtigsten, er hätte sie warnen – und danach das Gemälde erwähnen müssen.
»Ah, der berühmte Autor«, sagte der Streifenpolizist beim Studium des Führerscheins. »Der das Buch über Parrish geschrieben hat.«
Colin nickte. Aber er verwickelte ihn nicht in ein Gespräch.
Den Mann zu beschwatzen, um dem verdienten Strafzettel zu entrinnen – das wäre ehrlos. Aber die Frau des Polizisten liebte Romane, und er selbst besaß ebenfalls einen Basset. Deshalb ließ er es bei einer Verwarnung bewenden.
Bald danach erreichte Colin den Stadtrand. Statt Frenchman’s Bride anzusteuern, fuhr er ziellos durch stille Straßen. An diesem Abend hatte Sugar ein wildes Temperament gezeigt, das ihn erschreckte. Es war kein Spiel gewesen. Jedes einzelne Wort hatte sie ernst gemeint. Und er liebte sie.
Diese Erkenntnis fühlte sich alt und vertraut an, als würde sie ihn schon sehr lange begleiten. Aufgrund seiner lebenslangen Neigung zur Ironie müsste er sich darüber amüsieren. Doch er konnte nicht lachen. Er hatte die Situation falsch beurteilt,
eine ungeeignete Taktik gewählt. Und so hatte er etwas unendlich Kostbares verloren.
Weil Sugar Beth in aller Ruhe den Roman lesen wollte, lehnte sie am Sonntag Winnies Einladung zum gemeinsamen Kirchgang ab. Sobald der Benz verschwunden war, zog sie Jeans und eine Bluse an, ergriff eine alte Decke und fuhr zum See. Sie hätte Gordon gern mitgenommen. Aber er war nicht zurückgekehrt. Wahrscheinlich würde er nie wieder bei ihr auftauchen.
An einer sonnigen Stelle, nicht weit von der menschenleeren Bootsanlegestelle entfernt, breitete sie die Decke aus. Dann betrachtete sie die Kopie von »Reflexionen«. Auf dem Titel stand: »Unkorrigierter Probedruck, nicht verkäuflich«. Also hatte Colin ihr eine der Ausgaben geschenkt, die für Rezensenten und Buchhändler gedruckt wurden, bevor der redigierte Roman einen Monat später erscheinen würde. Sie strich über den Einband und wappnete sich gegen die schlimmen Dinge, die er über ihre Mutter geschrieben haben würde. Mochte Diddie auch überheblich gewesen sein – sie hatte sich tatkräftig für den Fortschritt in Parrish eingesetzt. Und wenn er das in »Reflexionen« nicht gewürdigt hatte, würde ihre Tochter ihm niemals verzeihen.
In der Ferne läutete eine Kirchenglocke, und Sugar Beth begann zu lesen.
Zwei Mal kam ich nach Parrish – das erste Mal, um einen großen Roman zu schreiben, und über ein Jahrzehnt später, weil ich heimkehren musste.
Verwirrt hielt sie inne. Dieses Buch hatte er, anders als die »Letzte Station«, in der Ich-Form geschrieben. Seltsam … Sie überflog das erste Kapitel, das von seiner Ankunft in Parrish handelte. Im zweiten schilderte er eine Begegnung mit Tallulah. Junger Mann, Ihr Haar ist viel zu lang, sogar für einen
Ausländer … Danach erzählte er im Rückblick von den späten sechziger Jahren und dem wirtschaftlichen Niedergang der Stadt. Sein Bericht über den Beinahe-Bankrott der Fensterglasfabrik las sich wie ein Thriller. Mit komischen Anekdoten steigerte er die Spannung. Unter anderem flocht er eine Story über den Kartoffelsalat-Wettbewerb in der Erlöserkirche ein. Als er zu den siebziger Jahren überging, stellte er die Rassenpolitik der Stadt am Beispiel der Familie dar, der Aaron Leary entstammte. Wie erwartet, kamen auch Diddie und Griffin in diesem Kapitel vor. Für das Porträt ihres Vaters interessierte sich Sugar Beth nicht besonders. Aber ihre Wangen brannten vor Zorn, als sie las, ihre schöne, hochmütige Mutter sei durch die Stadt gewandert, um Zigarettenasche und Herablassung zu verstreuen. Obwohl Colin ihre Verdienste nicht verschwieg, zeichnete er ein vernichtendes Bild von Diddie Carey.
Etwa hundert Seiten vor dem Ende klappte Sugar Beth das Buch zu und wanderte zum See hinab. Sie hatte angenommen, die Gründung der neuen Fabrik im Jahr 1982 würde die Geschichte abschließen. Aber sie musste noch drei Kapitel lesen. Wachsende Angst krampfte ihr Herz zusammen. Vielleicht war Diddie nicht die einzige handelnde Person, um die sie sich sorgen musste.
Sie kehrte zu ihrer Decke zurück und setzte die Lektüre fort.
1986 war ich zweiundzwanzig Jahre alt – und Parrish mein Nirwana. Die Stadtbewohner akzeptierten meine Extravaganz, die erschreckende Unfähigkeit, die ich als Lehrer an der High School bewies, meinen
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