Frühstück im Bett
sonderbaren Akzent, meine Arroganz. Vermutlich, weil ich einen Roman schrieb … Mississippi liebt alle Schriftsteller. Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich anerkannt und wunschlos glücklich – bis mein Südstaatenparadies von einem Mädchen namens Valentine zerstört wurde.
Mit achtzehn war sie das schönste Geschöpf, das man jemals in Parrish gesehen hatte. Wenn man sie zur High School schlendern sah, beobachtete man sexuelle Reize in höchster Vollkommenheit …
Entsetzt las Sugar Beth die Seite zu Ende, dann die nächste. Ihre Atemzüge beschleunigten sich, heller Zorn erhitzte ihr Gesicht. Gewiss, er hatte ihren Namen geändert, ebenso die Namen aller anderen Schüler und Schülerinnen. Doch das würde niemanden auch nur eine Sekunde lang hinters Licht führen.
Valentine war ein Teenager-Vampir. Nach Schulschluss saugte sie ihren unglücklichen Opfern das Blut aus und verschluckte es zusammen mit ihren Chicken McNuggets. Zunächst ging keine ernsthafte Gefahr von ihr aus – bis sie sich nicht mehr mit dem Plasma der armen Jungs begnügte und eine ältere Beute suchte.
Mich.
Die Sonne hing tief über dem See, die Luft kühlte ab. Während Sugar Beth die letzten Sätze las, zitterte sie am ganzen Körper. Sie legte das Buch beiseite und krümmte sich zusammen. Nur in einem einzigen Kapitel kam ihre Person vor. Aber sie fühlte sich, als wäre jedes einzelne Wort in ihre Haut gebrannt worden, wie die Tinten-Tattoos, die gelangweilte Jungs beim Unterricht mit Kugelschreibern in ihre Handgelenke geritzt hatten. Alles verrieten diese Zeilen – ihre Selbstsucht, ihre Manipulationen, ihre Lüge. Und Colin führte es der ganzen Welt vor Augen, die ihr Urteil fällen würde. Von tiefer Scham und heißer Wut erfüllt, starrte sie vor sich hin. Die ganze Zeit hatte er’s gewusst. Bei jedem amüsanten Wortgefecht, bei jedem Kuss und jedem Liebesakt hatte er gewusst, was sie eines Tages lesen würde, und sie nicht gewarnt.
Die Decke um die Schultern, die Knie angezogen, saß sie am See, bis die Nacht hereinbrach. Dann fuhr sie in die Stadt zurück. Das Kutschenhaus erschien ihr leer und beklemmend. Auf dem Küchentisch lag eine Nachricht von Winnie. Aber Sugar Beth beachtete den Zettel nicht. Seit dem Morgen hatte sie nichts gegessen, und jetzt drehte ihr allein schon der Gedanke an eine Mahlzeit den Magen um. Sie ging nach oben und wusch ihr Gesicht, sank aufs Bett und hoffte, sich zu beruhigen. Doch die Zimmerdecke, die Tallulah vier Jahrzehnte
lang angestarrt hatte, erschien ihr wie ein Sargdeckel. Das Leben ihrer Tante war ein Klagelied voller Trauer und Elend gewesen, im Namen der Liebe gesungen.
In diesem Raum bekam Sugar Beth keine Luft. Sie kehrte ins Erdgeschoss zurück. Auch hier spürte sie Tallulahs Bitterkeit – in den schäbigen Möbeln, der verblichenen Tapete, den vergilbten Gardinen. Alles hatte der Groll einer verzweifelten, vom Verlust ihrer Liebe besessenen Frau befleckt. Ihr Herz begann schmerzhaft zu hämmern. Nein, dies war nicht ihr Zuhause, sondern ein Mausoleum – und das Studio sein symbolisches Zentrum. Sie ergriff den Schlüsselbund und rannte in die Nacht hinaus, zur Garage. In der Finsternis fiel es ihr schwer, das alte Schloss zu öffnen. Als es endlich nachgab, zog sie die Torflügel auf und schaltete das Licht der nackten Glühbirne ein.
Während sie sich in der armseligen Gedenkstätte umsah, die ihre Tante einer verlorenen Liebe gewidmet hatte, stellte sie sich vor, welche Erklärungen Colin abgeben würde. Dieses Buch schrieb ich lange vor deiner Rückkehr. Was hätte es genützt, wärst du früher informiert worden?
Ja – was?
Sie betrat das Chaos, das Tallulahs dunkler Geist zum Mittelpunkt ihres Daseins erkoren hatte, und begann die Plastikhüllen zu zerreißen. Ein solches Leben würde sie nicht führen. Nie wieder. Nie mehr eine Gefangene ihrer eigenen Bedürfnisse. Das alles würde sie anzünden, diese wahnwitzige Energie voller Farbe und Leid in Flammen aufgehen lassen.
Plötzlich schienen die Farben zu vibrieren, und ihr Atem stockte. Hektische Kleckse und bunte Flecken wirbelten um sie herum. Und dann sah sie es.
Das Gemälde, das Lincoln Ash ihrer Tante geschenkt hatte.
Bedrückt ging Miss Creed in ihr Schlafzimmer.
Eine Zeit lang saß sie am offenen Fenster und
starrte blindlings auf die mondhelle Landschaft.
Soeben hatte sie den schlimmsten Tag ihres
Lebens verbracht …
Penelope und der Dandy, von Georgette Heyer
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D ie ganze
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