Frühstück im Bett
verschlang. Das nächste war erst in sechs Wochen fällig.
Schließlich wurde Delilah wieder von ihrer Angst befallen und wollte ins Brookdale zurückkehren. »Wenn ich zu lange wegbleibe, macht sich Meesie Baker Sorgen.« Meesie Baker war ihre Lieblingspflegerin.
Etwas später sprach Meesie mit Sugar Beth unter vier Augen.
»Sicher fällt Ihnen die Trennung schwerer als ihr. Natürlich vermisst sie ihre Stiefmutter. Aber es geht ihr gut.«
Zum Abschied strich Sugar Beth über Delilahs Haar. »Am Sonntag rufe ich dich an. Und ich denke jeden Tag an dich.«
»Das weiß ich, meine Sugar Beth. Weil du mich so sehr liebst.«
»Da hast du Recht, Superhirn«, erwiderte Sugar Beth, und Delilah kicherte.
Auf dem Rückflug starrte Sugar Beth aus dem Fenster und bekämpfte ihre enge Kehle. Wie viele Menschen waren so glücklich, jemanden zu haben, der sie bedingungslos liebte?
Während sie in der Dunkelheit vom Flughafen nach Hause fuhr, überlegte sie, wie sie Colin danken sollte. Letzten Endes wählte sie einen feigen Ausweg und schrieb ihm einen Brief. Die ersten drei Entwürfe verrieten zu viel und landeten im Papierkorb. Aber die Version, die sie am Freitagmorgen in seinen Postkasten warf, erfüllte ihren Zweck völlig emotionslos.
Lieber Colin, gestern habe ich Delilah besucht. Vielen Dank. Dieses Wiedersehen war mir sehr wichtig, und ich nehme fast alle schrecklichen Dinge zurück, die ich über dich gesagt habe.
In tiefer Dankbarkeit, Sugar Beth.
P.S.: Bitte keine Kommentare über Rechtschreibung und
Zeichensetzung.
Colin zerknüllte den Brief in der Faust und warf ihn neben dem Schubkarren ins Gras. Ihre Dankbarkeit wollte er nicht, verdammt, sondern ihre Gesellschaft, ihr Lächeln, ihren Körper – das konnte er nicht leugnen. Aber er liebte auch ihre extravaganten Ansichten, ihren respektlosen Humor, die Seitenblicke, die sie ihm zuwarf, wenn sie glaubte, er würde nicht hinschauen.
Erbost ließ er den Spaten fallen. Schon seit Sonntag fühlte er
sich angespannt und gereizt. Er konnte nicht an seinem Roman arbeiten und schlief schlecht. Kein Wunder. Schuldgefühle waren unangenehme Gefährten. Höchste Zeit, was dagegen zu unternehmen …
Am Samstagnachmittag um drei Uhr läutete das Telefon. Eine Stunde, bevor die Buchhandlung geschlossen wurde. »Gemima’s«, meldete sich Sugar Beth.
»Wenn du deinen Hund lebend wiedersehen willst, sei um fünf Uhr vor dem Rowan Oak. Und komm allein.«
»Rowan Oak?«
»Falls du die Polizei verständigst, ist Gordon eine Hundefleischkonserve.«
»Ich habe mit dir Schluss gemacht!«
Doch er hatte bereits aufgelegt.
Nein, sie würde sich nicht von ihm manipulieren lassen. Aber kurz nachdem der Laden geschlossen hatte, folgte sie dem Highway zu William Faulkners legendärem Heim in Oxford. Colin hatte ihr das Wiedersehen mit Delilah ermöglicht. Also war sie ihm was schuldig. Trotzdem wünschte sie, er würde ihr das Leben nicht so schwer machen.
Um vier Uhr wurde das Haus für Besucher geschlossen. Aber offensichtlich genoss jemand gewisse Privilegien, denn auf dem ansonsten leeren Parkplatz entdeckte sie einen burgunderroten Lexus, und das hölzerne Tor stand offen. Im nordöstlichen Mississippi aufgewachsen, hatte Sugar Beth das Rowan Oak schon oft besichtigt – mit den Pfadfinderinnen, Jugendgruppen von der Kirchengemeinde und den Gorgonien. Und im letzten Schuljahr war sie in einem großen gelben Bus hierher gefahren, mit Mr Byrnes Englischklasse. William Faulkner hatte das halb verfallene Plantagenhaus im griechischen Stil Anfang der dreißiger Jahre gekauft. Ohne elektrischen Strom und funktionsfähige Wasserleitungen. Einem
Gerücht zufolge hatte Faulkners Frau während seiner eifrigen Bemühungen, das Haus bewohnbar zu machen, schluchzend auf der Schwelle gesessen. Bis zu seinem Tod im Jahr 1962 hatte er hier gewohnt und sich betrunken, seine Kinder mit erfundenen Geistergeschichten erschreckt und die Romane geschrieben, denen er seinen Nobelpreis für Literatur verdankte. Seine Tochter hatte das Anwesen in den frühen siebziger Jahren der University of Mississippi verkauft. Seither kamen Touristen aus aller Welt hierher, um die berühmteste literarische Gedenkstätte des Staates zu bewundern.
Durch die imposante Zedernallee, im neunzehnten Jahrhundert gepflanzt, ging Sugar Beth zu dem einstöckigen weißen Holzhaus. Noch bevor sie das Ende des alten Ziegelwegs erreichte, sah sie Colin an einer der wuchtigen Säulen lehnen, Gordon zu seinen
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