Frühstück mit Kängurus
dort gewesen war oder in etwa wusste, wo es lag, und die Autoren, die ich gelesen hatte, hatten offenbar auch ausschlie ß lich historische Berichte ausgewertet. Ich wollte es sehen.
Es ist nicht leicht zu finden. Ich fuhr von Macksville sechzig Meilen den Pacific Highway hinauf nach Grafton und dann landeinw ä rts ü ber eine steile, einsame Landstra ß e durch die Great Dividing Range. Nach vier Stunden erreichte ich Delunga im hei ß en, ö den Schafsland - eine Tankstelle und ein paar H ä user mit weitem Blick ü ber meist baumlose Ebenen -, und nahm von dort eine schmale, gewundene, manchmal fast weggesp ü lte Stra ß e, die zu dem Ort Bingara, f ü nfundzwanzig Meilen im S ü den, f ü hrte. Ein paar Meilen vor Bingara kam ich an eine kleine, wacklige Br ü cke ü ber einem halb ausgetrockneten Flussbett. Myall Creek, stand auf einem Schild. Ich parkte das Auto im Schatten eines Flusseukalyptus, stieg aus und schaute mich um. Es gab kein Denkmal, keine Plakette. Nichts, aber auch gar nichts deutete darauf hin, dass hier oder in unmittelbarer N ä he eines der ruchlosesten Verbrechen in der australischen Geschichte stattgefunden hatte. Auf einer Seite der Br ü cke war ein verwahrloster Picknickbereich mit ein paar kaputten Tischen und reichlich zerschmissenen Flaschen in dem struppigen Gras am Rand. Etwa eine Meile entfernt stand ein gro ß es Farmhaus inmitten sonniger, ungew ö hnlich gr ü ner Getreidefelder. In der anderen Richtung und sehr viel n ä her f ü hrte ein ü berwachsener Pfad zu einem wei ß en Geb ä ude. Ich ging hin, um zu sehen, was es war. Die Myall Creek Memorial Hall, besagte eine Plakette. Kein tolles Denkmal f ü r ein schreckliches Massaker, aber wenigstens etwas. Da fiel mir an einer Wand ein handgeschriebenes Schild auf, und ich erfuhr, dass das Haus gar nichts mit dem Blutbad zu tun hatte, sondern ein Denkmal f ü r die Toten der beiden Weltkriege war. Bingara, ein hei ß es, trostloses Kaff mit einer verschlafenen Hauptstra ß e (Einwohnerzahl: eintausend- dreihundertdreiundsechzig), hatte bestimmt einmal bessere Zeiten gesehen; nun waren die meisten Gesch ä fte entweder leer oder wurden von staatlichen Institutionen benutzt. Ich sah eine Klinik und eine Polizeiwache, ein Arbeitsvermittlungs- und Beratungszentrum, ein Touristenb ü ro und - ein » Ruhezentrum f ü r ä ltere Mitb ü rger « . Ein altes, unglaublich gro ß es Kino nannte sich zwar immer noch Roxy, war aber eindeutig schon seit Jahren geschlossen. Im Touristenb ü ro wurde ich von einer netten mittelalterlichen Dame empfangen, die bei meinem Anblick - ein Kunde! - aufsprang. Als ich sie fragte, ob sie Informationen ü ber das Massaker habe, schaute sie mich ganz betreten an.
» Ich f ü rchte, dar ü ber wei ß ich nicht viel. «
» Wirklich nicht? « Ich war ü berrascht. In dem Laden wimmelte es von Brosch ü ren und B ü chern.
» Es ist so lange her. Die Kinder lernen, glaube ich, etwas dar ü ber in der Schule, aber Besucher fragen nicht oft danach. «
» Wie oft? Nur mal interessehalber. «
» Oh « , sagte sie und griff sich ans Kinn, als sei diese Frage nun wirklich eine harte Nuss. Dann wandte sie sich an eine Kollegin, die aus einem Hinterzimmer auftauchte. » Mary, wann hat zum letzten Mal jemand nach Myall Creek gefragt? «
»Oh«, antwortete die Kollegin, gleichermaßen um eine Antwort verlegen. »Das weiß ich gar nicht - nein, warte, vor zwei Monaten ungefähr, da hat sich ein Mann danach erkundigt. Jetzt fällt es mir wieder ein. Er hatte einen kleinen Spitzbart. Sah ein bisschen wie Rolf Harris aus. Wann davor das letzte Mal, weiß ich nicht.«
»Die meisten Leute suchen hier nach Edelsteinen und Gold«, erklärte die erste Dame.
»Und was finden sie?«, fragte ich.
»Ach, jede Menge - Gold, Diamanten, Saphire. Hier in der Gegend gab's ja früher viele Minen.«
»Aber über das Massaker haben Sie absolut nichts.«
»Leider nein.« Es schien ihr wirklich Leid zu tun. »Ich sage Ihnen, wer Ihnen helfen kann. Paulette Smith vom Advocate.«
»Das ist die Lokalzeitung«, fügte die Kollegin hinzu.
»Sie weiß alles darüber. Sie hat an der Uni eine Arbeit darüber geschrieben.«
»Wenn Ihnen jemand helfen kann, dann Paulette.«
Ich bedankte mich und ging los, um den Advocate zu suchen. Bingara war zwar klein und halb tot und an einer Straße zum Nirgendwo gelegen, doch es hatte nicht nur ein Touristenbüro, sondern auch eine eigene Zeitung. In den Geschäftsräumen des Advocate
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