Frühstück mit Kängurus
Tote, einhundertundfünfzigtau- send Verwundete. Die Möglichkeit, zu fallen oder verwundet zu werden, betrug für australische Soldaten fünfundsechzig Prozent. John Pilger schreibt: »Keine Armee wurde so dezimiert wie die, die aus dem Land kam, das am weitesten weg lag. Und alle waren Freiwillige.«
Hinter dieser traurigen Allee lag das viel fröhlichere und sonnigere Areal des botanischen Gartens, dem ich mich nun mit frischem Eifer näherte, denn Australiens Pflanzen sind außergewöhnlich, und nirgendwo findet man sie hübscher arrangiert als hier. Australien ist sogar ein erstaunlich fruchtbares Land. Man glaubt, dass es dort etwa fünfundzwanzigtausend Pflanzenarten gibt (zum Vergleich: in Großbritannien eintausendsechshundert). Aber das ist nur eine Schätzung. Mindestens ein Drittel ist nie bekannt oder erforscht worden, und dauernd tauchen neue auf, oft an den unwahrscheinlichsten Stellen. 1989 fanden Wissenschaftler zum Beispiel in Sydney eine völlig neue Baumart namens Allocasuarina portuensis. Da lebten die Leute zweihundert Jahre mit diesen Bäumen, doch weil sie (die Bäume) nicht sehr zahlreich waren - es sind bisher erst zehn gefunden worden -, waren sie noch niemandem aufgefallen. Oder: 1994 stieß ein Botaniker auf einem Spaziergang in den Blue Mountains auf eine dieser Spezies, die man für lange ausgestorben gehalten hatte. Sie hießen Wollemi-Kiefern und waren nicht etwa bescheidene kleine Büsche, die unter hohem Gras verborgen waren, sondern mächtige, imposante Bäume, bis zu vierzig Meter hoch und mit einem Umfang von mehr als drei Metern. Aber da es so viel Land zum Erforschen gibt und die Zahl der Botaniker, die herumlaufen und forschen können, begrenzt ist, dauerte es eine Weile, bis sich Mensch und Pflanze trafen. Natürlich kann niemand schätzen, wie vieles immer noch seiner Entdeckung harrt. Deshalb ist Australien ja auch so ein wahnsinnig spannendes Land für Naturwissenschaftler. In Großbritannien, Deutschland oder Amerika findet man mit großem Glück eine neue Unterart Hochgebirgsflechten oder einen Sprössling eines bisher übersehenen Mooses. In Australien dagegen braucht man nur durch den Busch zu streifen und findet ein halbes Dutzend Wildblumen, die nicht mal einen Namen tragen, eine Gruppe Bedecktsamer aus dem Jura und obendrein vielleicht noch einen Zehn-Kilo-Klumpen Gold. Wenn ich Naturwissenschaftler wäre, wüsste ich, wo ich arbeiten würde. Bei all dem erhebt sich natürlich stets die Frage, warum Australien, das so einzigartig lebensfeindlich ist, eine solche Fülle hervorbringt. Paradoxerweise liegt die halbe Antwort in der Kargheit des Bodens. In den gemäßigten Breiten können die meisten Pflanzen an den meisten Stellen wachsen - eine Eiche so prächtig in Oregon wie in Pennsylvania. Deshalb dominieren dort relativ wenige Arten einen Standort. Auf mageren Böden dagegen sind Pflanzen gezwungen, sich zu spezialisieren. Eine Art lernt beispielsweise, sich an Böden mit hoher Nickel - konzentration zu gewöhnen, während anderen das Element absolut nicht mundet. Eine dritte nimmt Kupfer in Kauf, und eine vierte gewöhnt sich an Nickel und Kupfer zusammen und womöglich noch an lange Dürreperioden. Und so geht das dann alles seinen Gang. Nach ein paar Millionen Jahren hat man eine Landschaft mit einer großen Vielfalt von Pflanzen, die alle sehr spezifische Bedingungen mögen und Herren eines Stückchens Landes sind, auf dem nur wenige andere Pflanzen ausharren würden. Spezialisierte Pflanzen führen zu spezialisierten Insekten, und so geht es weiter nach oben in der Nahrungskette. Im Endergebnis ist das Land, oberflächlich betrachtet, lebensfeindlich, in Wirklichkeit aber wunderbar vielgestaltig.
Zweitens spielt die Isoliertheit eine große Rolle. Fünfzig Millionen Jahre Inseldasein ersparte den indigenen Lebensformen viel Konkurrenz und erlaubte einigen - in der Pflanzenwelt den Eukalypten, bei den Tieren den Beuteltieren -, sich über Gebühr zu entfalten. Nicht minder wichtig ist darüber hinaus die Isolation, die lange innerhalb Australiens herrschte. Australien besteht, grob gesagt, aus verstreuten Nischen, in denen das Leben tobt, und dazwischen großen Bereichen, in denen es karg zugeht. Das gilt vor allem für Südwest-Australien. David Attenborough behauptet in Das geheime Leben der Pflanzen, dass es dort »nicht weniger als Zwölftausend verschiedene Pflanzenarten gibt, von denen siebenundachtzig Prozent nirgendwo sonst auf der Welt
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