Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fruehstueck mit Proust

Fruehstueck mit Proust

Titel: Fruehstueck mit Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frédérique Deghelt
Vom Netzwerk:
für ein Wissenschaftsjournal, wo sie praktisch die einzige Frau war, und für ein monatlich erscheinendes Gesellschaftsmagazin, das ernsthafte Themen behandelte. Manchmal ging sie mit einem der Fotografen auf Reportagereisen und schrieb Texte, die seine Fotos illustrieren sollten, denn er war ein Star auf seinem Gebiet.
    Sie bemühte sich, ein gewisses Interesse zu heucheln, und begleitete die Mädels von der Zeitschrift hin und wieder, wenn sie abends um sechs noch auf ein Glas in eine spanische Kneipe gingen. Hier versammelte sich eine kleine Madrider Gemeinde zu Tapas und Vino tinto. Wenn der Wirt gute Laune hatte, holte er seine Gitarre von der Wand und spielte drauflos. In dieser Partystimmung, über alles und nichts lachend, erlebte Jade ein Gemeinschaftsgefühl mit den anderen Kolleginnen der Redaktion, das sich innerhalb der Mauern des Redaktionsgebäudes unmöglich einstellen konnte.
    An diesem Abend erklärte Jade ihnen kurz, aber eben nicht kurz genug, dass sie zu ihrer Großmutter müsse, die neuerdings bei ihr wohne. Neugier, Betroffenheit, Entsetzen, Unverständnis … Vor allem aber erriet sie hinter ihren skeptischen Mienen die pure Angst. Jede Einzelne von ihnen, ob fünfundzwanzig oder fünfundvierzig Jahre alt, stellte sich einen Moment lang vor, sie müsste mit ihrer Großmutter zusammenleben … Die Kommentare ließen nicht lange auf sich warten. »Du bist verrückt! Ein alter Mensch ist eine große Belastung, schlimmer als ein Kind! Du bist noch zu jung für so eine Verpflichtung.« – »Du wirst ihre Krankenschwester werden, und dann kommst du gar nicht mehr vor die Tür.« – »Worauf hast du dich da bloß eingelassen, das ist ja, als würde man mit dreißig wieder bei seinen Eltern wohnen!« … Jade verabschiedete sich eilig, leicht beschwipst, und ließ die verschiedenen Bemerkungen, die sie aufgeschnappt hatte, in ihren Ohren nachklingen. Nur ein einziger erfreulicher Gedanke drang durch diesen Wortschwall: das Vergnügen, gleich Mamoune wiederzusehen, bei der Begrüßung ihre weiche Wange zu spüren, ihre Hände in den ihren zu halten und zu erfahren, wie sie den Tag verbracht hatte. Und wenn sie nicht zu müde war, würde sie mit ihr noch Pasta essen gehen bei ihrem kleinen Lieblingsitaliener in der Rue des Martyrs. Sie kannte den Wirt gut, er würde ihnen den besten Tisch geben und Mamoune ein Kompliment zu ihrer Frisur machen. Auch er hatte in der Toskana eine geliebte Großmutter. Eine Großmutter – und keine Belastung!
    Als Jade die Tür aufschloss, stand eine völlig verstörte Mamoune vor ihr, wie sie sie gar nicht kannte. Sie eilte auf sie zu.
    »Mein Gott, was ist passiert? Geht es dir nicht gut? Stimmt etwas nicht?«
    Mamoune lächelte erschöpft und versuchte ihre Erregung herunterzuspielen, ohne aber die Gelassenheit wiederzufinden, die sie sonst ausstrahlte.
    »Ich habe mir Sorgen gemacht«, gab sie schließlich zu, suchte aber ihr Geständnis auch gleich wieder zu relativieren. »Natürlich kannst du nach Hause kommen, wann du willst …«
    »Nein, Mamoune, es ist meine Schuld. Ich hätte dir Bescheid sagen sollen. Ich war mit den Mädels von der Redaktion noch etwas trinken. Ich habe nicht mehr daran gedacht, wann ich nach Hause komme. Warum hast du mich denn nicht auf dem Handy angerufen?«
    »Ich hatte Angst zu stören. Ich will keine Großmutter sein, die bei jeder Kleinigkeit anruft. Ich schäme mich richtig … Ich habe mir wegen nichts Sorgen gemacht! Und jetzt denkst du bestimmt, dass …«
    »Mamoune, ich denke vor allem, dass ich in Zukunft darauf achten werde, dir Bescheid zu sagen. Und du wirst dich allmählich an meine chaotischen Arbeitszeiten gewöhnen. Nächstes Mal stellst du dir nicht mehr gleich vor, dass mich in der Metro jemand überfallen hat, oder anderen Unsinn, den man sich in der Provinz über das gefährliche Paris erzählt.«
    »Woher weißt du das?«
    »Ich habe gehört, was deine Nachbarinnen so reden. Und als Wiedergutmachung lade ich dich jetzt erst mal ins Restaurant ein. Deinen
pot-au-feu
heben wir uns für morgen auf. Das ist doch ein
pot-au-feu
, was ich da rieche, oder?«, fragte Jade auf dem Weg in die Küche.
    »Wie du möchtest, mein Schatz. Stell ihn nicht in den Kühlschrank, er ist noch zu heiß.«
    Und auf dem Weg erzählte sie Jade, dass sie an ihrem vierten Geburtstag zu ihr gekommen sei und gesagt habe: »Mamoune, wenn du sehr alt bist, dann bin ich erwachsen, und wenn du gestorben bist, dann bin ich alt. Aber werde ich

Weitere Kostenlose Bücher