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Fruehstueck mit Proust

Fruehstueck mit Proust

Titel: Fruehstueck mit Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frédérique Deghelt
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ihres seltsamen Haushalts einzahlte. An ihrem Tonfall hatte Jade erkannt, dass es nicht in Frage kam, dass sie für Mamoune aufkam. Demonstrativ hatte sie die ersten Einkäufe in Paris übernommen und dabei angemerkt, sie habe es nie glauben wollen, wenn ihr jemand sagte, das Leben in Paris sei teurer, aber nun könne sie es verstehen.

Mamoune
    W ährend ich die Überreste unseres Frühstücks wegräume, macht Jade sich fertig. Sie ist immer so taktvoll, sich zu entschuldigen, wenn sie keine Zeit hat, mir zu helfen. Ich sehe ihr gern zu, wenn sie wie ein Windstoß umherfegt, ein Halstuch sucht und sich dabei die Haare bürstet, oder in ihren Kalender schaut und sich gleichzeitig die Zähne putzt oder ihre E-Mails liest, während sie eine Jacke überzieht. Anscheinend kann sie niemals nur eine einzige Sache tun. Für jemanden, der langsam ist wie ich, ist das ein richtiges Schauspiel.
    Jade hat keine Ahnung, was für ein Leben ich in den letzten Jahren geführt habe: eine alleinstehende Frau in einem Dorf, die sich der Einsamkeit des Alters ergibt. Manchmal ging ich in ein Altersheim, um eine der Nachbarinnen zu besuchen, die mir nahestanden. Die gutmütigste von ihnen begann nach zwei Monaten Blätter zu essen und erzählte mir, dieses Miststück dort drüben rechts, das uns beobachtete, habe am Tag zuvor versucht, sie erwürgen. Die Frau, von der ich in unserer vierzig Jahre währenden Nachbarschaft kein einziges grobes Wort vernommen hatte, war eine verbitterte Hexe geworden. Und von einer anderen erfuhr ich, dass der Pfleger vom Wochenende ihr an die Wäsche ging, sobald er sie auf ihr Zimmer begleitet hatte. Ich wusste nicht so recht, wie ich mit solchen Vertraulichkeiten umgehen sollte.
    Aber auch die andern, denen das Pflegeheim erspartgeblieben war, erstatteten mir regelmäßig Bericht über ihre schlecht funktionierenden Urinbeutel und ihre verkalkten Arterien. Sie schienen sich nicht einmal mehr für ihre Enkelkinder zu interessieren, von denen sie mir doch früher so viel erzählt hatten. War ich so intolerant, weil ich vor Gesundheit strotzte? Keineswegs, auch ich hatte meine Zipperlein, aber ich besaß immerhin noch das Schamgefühl, mein Gegenüber nicht mit der Aufzählung meiner defekten Teile zu behelligen. Ich hätte viel lieber über Blumen und Samen, Regen oder Wind gesprochen, über all die schönen Dinge, die sie offenbar nicht mehr wahrnahmen.
     
    Jade umarmt mich, bevor sie geht. Ihr Parfüm duftet nach Frühling. »Magst du irgendetwas Bestimmtes zum Abendessen?« Sie sieht mich verärgert an. »Mamoune, ich habe es dir doch schon einmal gesagt: Wenn ich gerade ein Honigbrot zum Frühstück gegessen habe, kann ich unmöglich schon wieder daran denken, was ich am Abend essen möchte. Außerdem fände ich es schade, es vorher zu wissen! Aber«, fügt sie tröstend hinzu, »ich würde mich freuen, wenn du mir eine kleine Kostprobe der Zitate aus deinen Lektüren anbieten würdest. Du weißt schon, die in dem Heft, das du mir gestern Abend gezeigt hast.«
    Ach, Romane! Dämonen aus Wörtern und Sätzen, die einen mitreißen und nicht wieder loslassen! Wenn mich eine Lektüre richtig packte, hatte ich immer das Bedürfnis, etwas davon aufzubewahren, es in ein Heft zu schreiben, als wollte ich so in die Fußstapfen der Schriftsteller treten, die ich mochte. Ich beschloss, diese Zitate in mein Haushaltsbuch zu schreiben, weil ich wusste,dass dort niemand einen Blick hineinwarf. Wenn ich schon keine Bücher besitzen konnte, wollte ich wenigstens ein paar Krümel von ihnen aufbewahren.
    Ich notierte ein Gedicht oder einen Satz in mein Heft, und oft las ich ihn mir dann noch einmal durch. Ich betrachtete die Schönheit des Textes, wie er da von meiner Hand geschrieben stand, und fragte mich, ob derjenige, der ihn zum ersten Mal so formuliert hatte, seinen Zauber überhaupt wahrgenommen hatte. Es kam vor, dass ich beim Abschreiben weinte. Und manchmal hatte sich die Wortfolge eines Satzes schon bei der ersten Lektüre so tief in mein Herz gegraben, dass ich ihn nicht noch einmal lesen musste, bevor ich ihn zwischen den Zahlen in meinem Haushaltsbuch versteckte. In mein erstes Heft hätte ich manche Werke am liebsten vollständig abgeschrieben, weil ich der Überzeugung war, dass alles darin wichtig war und festgehalten werden musste, lückenlos und in leuchtenden Lettern. Mit der Zeit lernte ich mich zu mäßigen und die Textstelle auszuwählen, die genau das ausdrückte, wonach ich an diesem Tag

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