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Fruehstueck mit Proust

Fruehstueck mit Proust

Titel: Fruehstueck mit Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frédérique Deghelt
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damals dachte, dass der Junge Wachs in ihren Händen war und sie ihn bald satthaben würde. Anscheinend war er dieser Windsbraut nicht gewachsen, die nicht lange fragte, ob er dies oder jenes gern täte, sondern ihn einfach mit sich fortriss.
    Wenn man sie ein paar Tage miteinander erlebt hatte, konnte man sich leicht ausrechnen, dass sie es nicht ein Leben lang aushalten würde mit diesem unfertigen Mann, der ihr alles recht machte. Dass er ihr jeden noch so kleinen Wunsch widerspruchslos erfüllte, würde sie noch eher satthaben als er.
    Die Angewohnheit, junge Paare zu beobachten, ist wohl typisch für Frauen, die das Leben schon hinter sich haben. Wenn ich zufällig einem Pärchen begegne, etwa auf einem meiner Spaziergänge, versuche ich es mir in fünfzig Jahren vorzustellen. Ich konzentriere mich auf ihre Augen, auf diesen gewissen Glanz, der im Alter abstumpft oder aber wunderbar strahlt. Ich suche nach den Gesten, die sich im Laufe der Zeit verstärken. Aber so gründlich ich Jade und Julien auch betrachtete, konnte ich mir von ihnen kein Bild machen, das weiter als fünf Jahre in die Zukunft reichte.
    Die Kleine hat aber auch wirklich Energie! Das hat sie bewiesen, als sie mich aus einer plötzlichen Anwandlung heraus zu sich holte, denn ich bin mir ziemlich sicher, dass sie nicht erst lange darüber nachgedacht hat. Sie hat sich genauso ungestüm auf den Weg gemacht, wie sie auf die Welt kam. Ich hätte mir so gewünscht, meine Mutter, die Hebamme war, wäre noch am Leben gewesen, dann hätte ich ihr erzählen können, wie ihre Urenkelin beiihrer Geburt die Nabelschnur zerrissen hat. An dieser stürmischen Art hat sich bis heute nichts geändert.
     
    Als ihr Vater beschloss, fortan unter Kokospalmen zu leben, war sie erst siebzehn, doch sie blieb hier, obwohl die Trennung ihr zu schaffen machte.
    »Verstehst du mich, Mamoune? Was soll ich in einem Land, in dem nur das unterschiedliche Rot der Sonnenuntergänge die Seele in Schwingung versetzt?«, fragte sie. »Für Maler wie meine Eltern ist das toll, aber was ist mit mir? Ich werde umkommen vor Langeweile. Sand, Strände, Lagunen, keine Kultur, nichts zu lernen.«
    Ich hätte ihr entgegenhalten können, dass man nicht viel braucht, um leben zu lernen, aber ich verstand ihre Gier. Hatte ich nicht selbst manchmal Lust, in der Stadt zu leben, wo immer neue Zerstreuungen locken?
    Ich beruhigte meinen Sohn und setzte mich bei meiner Schwiegertochter für sie ein. »Sie hat ja ihre Tanten, das Mädchen ist vernünftig, fleißig und ehrgeizig. Man kann sich auf sie verlassen. Und wenn sie ein bisschen Nestwärme braucht, kann sie die bei ihrer Mamoune reichlich tanken.«
    Serge und Lisa gaben schließlich nach. Sie siedelten um und nahmen Jades zwei jüngere Brüder mit.
    Ihre Eltern und ihre Brüder fehlen ihr, das spüre ich. Am Tag nach meiner Ankunft zeigte sie mir ihre Computerausrüstung, mit der man auch telefonieren kann. Und nun führen wir täglich diese Gespräche, bei denen alle gefilmt werden. Auf diese Weise konnte ich meinen Sohn und den Rest der Familie einmal wiedersehen. Ich betrachte ihre zeitverzögerten Grimassen und staune, welchen Fortschritt die Menschheit gemacht hat: Zumeiner Zeit wurde noch jede Atlantiküberquerung eines Flugzeugs gefeiert wie ein Wunder. Aber wenn ich nach diesen Telefonaten, in denen wir uns so nahe sind, die uns aber auch die Entfernung umso bewusster machen, Jades Gesicht beobachte, frage ich mich manchmal, ob diese Art von Kommunikation nicht schlimmer ist als die Abwesenheit.
    Was Jade und mich unterscheidet, ist, dass mich das alles noch überrascht. Jede neue Erfindung begeistert mich, und obwohl ich nun auch schon so manches kennengelernt habe, kann ich mich nicht von jener Zeit lösen, in der solche technischen Errungenschaften undenkbar gewesen wären. Jade kommt aus einem Universum, in dem alles möglich ist. Was heute noch nicht verwirklicht ist, wird es morgen sein. In ihrer Generation sagt man nicht »nie«, sondern »in zehn oder zwanzig Jahren«.
    Früher gerieten wir ins Träumen, wenn wir den Abenteuern von Jules Verne lauschten, die mein Großonkel einer ganzen Versammlung von staunenden Kindern vorlas. Er war einer der wenigen Schriftsteller, die in meinem Dorf sehr bekannt waren. Mein Großvater hatte von seinem Vater, der mit Jules Vernes Verleger befreundet gewesen war, die schönen roten Bände geerbt, die als Einzige auf den Regalen in seinem Haus standen. Manchmal frage ich mich, ob er es

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