Fruehstueck mit Proust
war, der in meinem Geist die Lust zu lesen geweckt hat. In einer Familie, die vorher nur die mündliche Überlieferung der am Kamin erzählten Geschichten kannte, hat der Einzug dieser auf Papier gebannten Erzählungen bestimmt für einige Aufregung gesorgt.
» U nd, was macht deine Großmutter so? Wie ist das Leben mit ihr?«
Endlich ein vernünftiger Mensch, dachte Jade und freute sich, aufrichtige Neugier zu spüren und nicht wieder die furchtbare Skepsis, mit der man ihr ein verpfuschtes Leben in Aussicht stellte. Aline war seit zehn Jahren ihre Freundin. Sie mochten sich sogar für ihre kleinen Macken. Jade hatte sie bei einer ganz banalen Gelegenheit kennengelernt: Aline entwarf das Bühnenbild für ein Theaterstück, zu dem Jade einen Artikel schreiben sollte. Die Schauspieler waren sehr bekannt, sehr unnahbar und sehr von sich überzeugt, und Aline hatte Jade schließlich gerettet, indem sie ihr Anekdoten und künstlerische Details der Inszenierung erzählte, also die Rückseite der Bühne. Danach waren sie gute Freundinnen geworden und freuten sich immer sehr, wenn sie sich sehen und etwas miteinander teilen konnten. Aline war eine derjenigen gewesen, die sie gedrängt hatten, ihren Roman an Verlage zu schicken, als sie ihn gelesen hatte. Aline fand es originell, dass die Kapitel wie Novellen mit jeweils zwei Figuren konzipiert waren, die sich am Schluss alle in einem Flugzeug begegnen und ein unglaubliches Abenteuer erleben. Sie hatte Jade Mut gemacht, als die ersten Ablehnungsbriefe kamen. »Was, du wirst doch wegen so einer Kleinigkeit nicht aufgeben? Was meinst du, wie viele Absagen heute sehr bekannte Schriftsteller einstecken mussten, die dir auchnicht erklären könnten, warum damals niemand ihre Bücher haben wollte. Denk mal an
Südkurier
, das wurde zwar veröffentlicht, aber mehr als drei Exemplare haben sich nicht verkauft! Oder schau dir
Harry Potter
an!« – Oh nein! Jade war in Gelächter ausgebrochen. Warum musste man immer die Schriftsteller als Beispiel nennen, die Abertausende Exemplare verkauften, in fünfundzwanzig Sprachen übersetzt waren und die größten Glücksfälle der Literatur darstellten … Warum sprach man nicht über die vielen, die nie das Glück oder das Pech hatten, aus dem Schatten hervorzutreten? Am verschmitzten Blick ihrer Freundin sah Jade, dass sie versucht hatte, sie hereinzulegen, und dass es ihr gelungen war.
»Weißt du, was Mamoune angeht, merke ich erst jetzt, dass ich meine Entscheidung getroffen habe, ohne zu ahnen, wohin mich das führen würde.«
»Willst du damit sagen, in eine Zeit, die nicht die deine ist?«
»Vielleicht. Ich glaubte Mamoune zu kennen, aber ich habe sie nie als Frau betrachtet. Sie war halt meine Großmutter. Das ist lächerlich, ich weiß, aber das Leben mit ihr wirft eine Menge Fragen auf, ich bin richtig neugierig, manchmal sogar indiskret. Es ist, als hätte ich einen Schatz in Händen und wüsste noch nicht recht, was ich damit anstellen und wie ich ihn öffnen soll. Sie weiß so viele Dinge, von denen ich keine Ahnung habe … Und mit ihren kleinen Ticks kann sie einem ganz schön auf die Nerven gehen!«
»Redest du viel mit ihr?«
»Natürlich. Und an den vielen Geschichten aus ihrem Leben ist mir klargeworden, dass sie oft keine Wahlhatte, man kann es wohl auch Schicksal nennen. Aber sie hat mir ein Geheimnis verraten, ein nicht unerhebliches sogar. Sie war Zeugin eines Telefongesprächs geworden, das ich mit Gaël geführt habe, meinem Buddelkastenfreund, den du auch kennst. Ich erzählte ihm von den Absagen der Verlage, davon, dass ich meinen Roman überarbeiten muss und was ich alles ändern könnte. Daraufhin hat mir Mamoune ihre Hilfe angeboten …«
»Ich verstehe nicht, was ist daran so bemerkenswert?«
»Du kennst Mamoune nicht. Sie ist das, was man eine einfache Frau vom Lande nennt. Ich meine das nicht abfällig, aber ich habe sie nie in ihrem Leben lesen sehen. Abgesehen von der Bibel, aber wenn ich ihr glauben darf, verbarg sich hinter dem Umschlag etwas ganz anderes … Das Geheimnis ihres Lebens ist nämlich: dass sie gelesen hat, seit sechzig Jahren. Mit großer Leidenschaft. Und die Werke der Literatur, die ihr Leben begleitet haben, waren ebenso brillant und großartig, wie sie unauffällig und leise war. Sie ist richtig belesen!«
»Was für eine tolle Geschichte! Wenn ich du wäre, würde ich die aufschreiben. Aber wenn ich es richtig verstanden habe, hat sie sich dir als Coach angeboten, bevor
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