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Fruehstueck mit Proust

Fruehstueck mit Proust

Titel: Fruehstueck mit Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frédérique Deghelt
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Telefonnummer zu geben! Doch in einem anderen Winkel ihres Kopfes pfiff sie vergnügt eine Melodie vor sich hin, lachte und spottete über ihr Unbehagen, das sich überdies bald in Luft auflöste. Beinah hätte sie ein neues weißes Heft gekauft, um es mit unwahrscheinlichen Geschichten zu füllen. Außerdem hatte Rajiv ja recht mit seinem Schicksal. Wollte sie sich nicht gestern noch in ein unbekanntes Land aufmachen? Und war es nicht ein Augenzwinkern des Schicksals, dass sie diesen Inder nun zum zweiten Mal traf? Doch wenn man es genau bedachte, war diese zufällige Begegnung in der Metro schon mehr als seltsam. Es sei denn …

Mamoune
    A ch, könnte ich doch alles, was mir durch den Kopf geht, auf Band aufnehmen! Wie Jades Computer könnte ich all meine Gedanken mit einem einfachen Mausklick mühelos wiederfinden. Ich muss mir unbedingt notieren, was ich ihr zu dem Roman sagen wollte, und vielleicht auch das, was ich gerade nicht sagen, sondern vorerst für mich behalten möchte. Komisch, mir war, als hätten wir irgendwo noch ein Päckchen Kaffee, wenn ich nur wüsste, wo ich es hingeräumt habe. Bestimmt an den falschen Ort. Vielleicht in diesen Schrank hier …
    Seit ich mit der Lektüre angefangen habe, bin ich mir sicher, dass in Jade eine Schriftstellerin steckt. Schreibende haben eine ganz eigene Art, Dinge zu betrachten, die uns verborgen bleiben. Ich bin eine Leserin. Ich wäre niemals in der Lage, etwas zu schreiben, und wenn ich Romane lese, bin ich jedes Mal aufs Neue erstaunt über diesen einzigartigen Blick: die Art, auch Triviales zu erfassen und aus ungewohnter Perspektive zu betrachten, die Kunst, eine Verbindung herzustellen zwischen Dingen, die keine zu haben scheinen. Je tiefer und überzeugender er mich in seine Welt entführt, desto ungreifbarer wird der Autor. Was mich verzaubert, sind die Gedanken der Figuren und die Fähigkeit des Autors, mich mitzureißen, um sie zu besuchen. Obwohl die Seiten ausgefüllt sind, gewähren sie mir den Freiraum, meine eigenen Gedanken schweifen zu lassen, die Geschichte, die ich innerhalb der Geschichte konstruiere … Und wenn ichauch nicht selber schreibe, so schreibt meine Phantasie doch all die Romane nach, die ich voller Ehrfurcht geliebt habe. Das Traumhafte, das mir das Lesen bietet, offenbart mir eine Wirklichkeit, meine Wirklichkeit. Ich weiß nicht, was es dem Autor gibt, zu schreiben, aber was er verschweigt, eröffnet mir eine Fundgrube, aus der ich die schönsten Begegnungen mit meinem unbekannten Ich schöpfe. Und bei der Lektüre von Jades Roman hatte ich stellenweise das Gefühl, an diesem Höhenflug gehindert zu werden. Ich mochte den vorgezeichneten Wegen und Interpretationen nicht folgen. Wie soll ich ihr das nur zu verstehen geben?
    Wenn ich lese, besitze ich kein Alter mehr, ich schlüpfe jeweils in das Leben der Figuren, ich heirate, ich trenne mich, ich verrate andere oder begehe Fehler. Wenn ich in meiner Jugend ein Epos las, alterte ich gemeinsam mit den Helden, indem ich mit ihnen die Grausamkeiten des Lebens durchlitt. Heute folge ich ihnen in die Vergangenheit und werde wieder jünger, doch genährt von meiner Erfahrung, kenne ich die Klippen und die Fallen, in die sie stürzen. Gelegentlich hatte ich das Gefühl, weniger lebendig zu sein als die Figuren, deren Leben ich mit solcher Leidenschaft verfolgte. Wenn ich das Buch wieder schloss, erschauerte ich bei der Vorstellung, dass auch ich letztendlich mein Leben erfinden und ihm etwas von einer Romanze geben könnte. Und für ein paar Tage war mein Leben nicht mehr dasselbe … Ich muss Jade sagen, wie bezaubernd ich ihre Pärchen finde, wenngleich ich einige von ihnen ständig miteinander verwechselt habe, weil sie sich zu ähnlich sind.
    Ich muss mich ein wenig ausruhen. Ich weiß auch nicht, was heute Morgen mit mir los ist. Ich höre nichtauf herumzuwuseln, obwohl ich sehr wohl merke, dass meine Beine mich nicht mehr tragen wollen. Ah, im Sitzen geht es schon besser. Sieh an, der Ficus bekommt neue Blätter. Er scheint das tägliche Gießen und Abstauben seiner Blätter sehr zu schätzen. Und die Geschichten, die ich ihm am Vormittag erzähle.
    Der Leser von Jades Roman erfährt gleich zu Beginn, dass den Figuren nur noch wenig Zeit zu leben bleibt, wovon sie selbst aber nichts ahnen. Der ganze Roman beruht auf diesem Motiv: Wir versinken in den alltäglichen Nöten der Einzelnen und vergessen darüber ihr baldiges Ende, und jedes Mal wieder konfrontiert uns der Erzähler

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