Fruehstueck mit Proust
mit der rätselhaften und immer unheimlicheren Bedrohung, die ihnen unmittelbar bevorsteht. Wir erleben das Tag für Tag in unserer armen kleinen Existenz. Man vergisst so leicht, dass alles von einem Moment auf den anderen vorbei sein kann.
Und ich brüte darüber nach, welche Ratschläge ich einer Schriftstellerin geben soll, die Unschuld der Ewigkeit vor Augen: Was spinnt sich wohl in meinen Adern zurecht, während ich mein tägliches Gedankenwerk stricke? Ach, ich darf nicht vergessen, meiner Kleinen zu sagen, dass ich das Ende ihres Buches nicht sehr glaubwürdig finde. Mein Gott, es hat sie so viel Zeit gekostet, ihrem Herzen diesen Roman zu entreißen, wie soll ich ihr bloß meine Anmerkungen und meine Kritik vermitteln? Was für ein Mysterium! Bestimmt hat ihr die Vorstellung, gelesen zu werden, während des Schreibens große Angst gemacht, und ich, ihre gebrechliche Großmutter, die sie netterweise bei sich aufgenommen und damit vor Schlimmerem bewahrt hat, sitze nun hier, um als angeblich erfahrene Leserin das fertige Werk zubegutachten, und spüre die Zerbrechlichkeit der Autorin!
Ich bin nur eine Leserin von vielen, denen der Text meiner Enkelin vielleicht gefallen würde. Stelle ich zu hohe Ansprüche? Oder habe ich mich durch die Bücher vielleicht weiterentwickelt? Bisweilen legte ich ein Buch weg, das ich dann Jahre später sehr gern lesen sollte. Und was ist mit meinen ersten Romanen, die ich an einer Ecke des Tisches regelrecht daherbuchstabierte, in der Zuversicht, dass das flüssige Lesen sich schon noch einstellen würde und ich einen kleinen Zipfel des Universums schon in der Hand hielt? Etwas ist in mir geschehen und wurde immer stärker, hat meine Augen, mein Gedächtnis und meinen ganzen Körper von Buch zu Buch mehr in Anspruch genommen. Ich weiß noch, wie sehr mich das Wunder faszinierte, dass die guten Bücher immer genau im richtigen Moment kamen. Dass sie manchmal aus dem Regal fielen, um auf die Fragen zu antworten, die das Leben mir stellte. So fand ich zu einer Zeit, in der ich fast verzweifelt wäre, die Gelassenheit wieder, genoss die Tugenden der erträumten Liebe, überließ das Reisen anderen, sortierte Mord in die Abteilung des Unmöglichen. Ich habe alles erlebt, ich bin tausend Jahre alt, und das verdanke ich den Büchern.
R ajiv hatte Jade in ein indisches Restaurant in einer Nebenstraße des 10. Arrondissements ausgeführt. Alle Läden hier dufteten nach Gewürzen. Sie saßen im Hinterzimmer des Lokals, das ausgestattet war wie ein exotischer Film, mit Stuckaturen und goldbestickten Stoffen. Der Besitzer, den Rajiv gut kannte, empfing seine Gäste persönlich. »Das hier ist der Hochzeitssaal«, erklärte Rajiv schelmisch.
»Absicht oder Zufall?«
»Das ist mein Lieblingsrestaurant. Man ist hier gleichzeitig in Paris wie in London und in Indien.«
»Und nicht in Schweden?«
»Dort habe ich nur zwei Jahre gelebt. Wenn ich einem Mädchen, das ich in der Metro kennenlerne, sage, dass ich Schwede bin, dann nur, um mich interessant zu machen. Ich kann mich kaum noch daran erinnern. Aber ich fahre gern mit meiner Mutter hin.«
»Ach! Und lernst du in der Metro oft Mädchen kennen?«
»O ja! Jeden Morgen ganze Wagen«, gestand er und reichte ihr ein
nan
.
Ein Gericht folgte auf das nächste. Jade hatte nichts bestellt, auch Rajiv nicht. Sie hatte bemerkt, dass er dem Besitzer ein paar Worte auf Hindi gesagt hatte und ihr Tisch sich daraufhin mit kleinen Schalen füllte, von denen eine immer appetitlicher aussah als die andere.
»Zwei Tage. Sie hat nur zwei Tage gebraucht, um meinenRoman zu lesen. Bestimmt hat sie ihn verschlungen, bis ihr die Augen brannten, dabei hat sie ja schon erwähnt, dass sie einige Passagen mehrmals gelesen hat, um mir nichts Falsches dazu zu sagen.«
Jade wusste nicht, warum sie es so eilig gehabt hatte, Rajiv zu erzählen, dass sie mit ihrer Großmutter zusammenlebte und die ihr dabei helfen wolle, ihr Buch eines Tages zu veröffentlichen. Sie mochte sofort diesen strahlenden Blick, der sich in ihren senkte. Und sie erzählte ihm auch, wie verwundert sie über die Kommentare ihrer Großmutter gewesen sei.
Das Gespräch hatte seltsam begonnen. Als Jade aus der Redaktion nach Hause kam, traute sie sich nicht zu fragen, ob sie ihr Manuskript gelesen hätte, bis Mamoune gegen Ende des Abendessens, an einer Birne knabbernd, plötzlich fragte, als sei nichts gewesen:
»Sollen wir über deinen Roman sprechen?«
»Ach, du hast ihn schon
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