Fruehstueck mit Proust
andere miteinander teilten. Zunächst hatten ihre ungeschickten Hüftbewegungen, das Augenzwinkern des schönen Ricardo, ihres kubanischen Lehrers, die Musik und einige Abende in
tabernas calientes
sie einander nähergebracht, bis sie eines Tages auf ihren Beruf zu sprechen kamen. Seitdem trafen sie sich auch außerhalb der Salsa-Partys und der Kursstunden.
»Vielleicht habe ich gar keine Ambitionen als Journalistin«, meinte Jade verdrossen. »Ich bin an einem Punkt, an dem ich mich frage, wie und warum ich diesen Weg überhaupt eingeschlagen habe. Vielleicht war meine Lust, gesellschaftliche Phänomene aufzudecken, nur einAlibi, um mir reale Vorbilder für meine Figuren zu verschaffen …«
»He, du bist aber düster heute! Ist deine Geschichte mit Julien schuld daran, dass du plötzlich so an deinem Beruf zweifelst?«
»In den Monaten vor unserer Trennung hatte ich das Gefühl, so abzustumpfen mit ihm. Aber weißt du was, jetzt wird mir klar, dass er als Paravent für meinen eigenen Rückzug herhalten musste. Ich habe ihm Trägheit vorgeworfen, dabei spürte ich, dass die Erotik in unserer Beziehung erlosch, noch bevor sie ihren Höhepunkt erreichen konnte. Er sagte immer: Ich verstehe dich nicht, wir machen Sport, wir gehen am Wochenende segeln, wir sind viel unterwegs … Du weißt, was ich meine?«
»Oh, allerdings! Alles ist vorhersehbar … Die Freunde, die Geburtstage, das aktive, pulsierende Leben junger Spießer, die aus der Provinz nach Paris gekommen sind …«
Dafür hatte Jade Elisa gleich ins Herz geschlossen. Sie hatte blitzschnell den Durchblick, wo andere nichts mitbekamen.
»Kein Abenteuer, nichts, was unbekannte Gefühle in dir auslösen könnte oder dich auf geheime oder gefährliche Abwege brächte.«
»Jajaja, genau! Romanhelden können ihrem Schicksal nicht entgehen«, Jade hatte einen melodramatischen Ton angeschlagen, der zu ihren Worten passte, »aber im wahren Leben können wir eine Menge verpassen, wenn wir nicht drauf achten. Ich dachte immer, ich sei für ein Abenteuerleben im Exil auserkoren, und auf einmal fand ich mich in einer banalen Zweierkiste wieder und in einer Eigentumswohnung auf Kredit. Es war vollkommenvorhersehbar, was in den nächsten hundert Jahren passieren würde, vor allem die Langeweile!«
»Und jetzt?«, fiel Elisa ihr ins Wort, die ihr am Gesicht abgelesen hatte, dass Juliens Abgang nicht die einzige Neuigkeit der letzten Wochen war.
»Jetzt lebe ich mit einer Achtzigjährigen zusammen, was viel aufregender ist als meine dahinsiechende Beziehung!«
Jade erzählte ihr von Mamoune und was sie durch ihre lesende Großmutter entdeckte, versäumte es aber auch nicht, die Begegnung mit Rajiv zu erwähnen. Als sie ihn Elisa beschreiben wollte, merkte sie, dass er ihr immer noch ein Rätsel war. Aufgeregt wie ein verliebtes Huhn sprang sie von der Beschreibung seiner Hände über zu den Geschichten seiner Familie und dem Herzklopfen, das sie erfüllte, wobei sie Elisas amüsiertem Blick standhielt, die verständnisvoll nickend zuhörte. Dafür hatte sie sie immer geschätzt, dass sie so natürlich war und zuhören konnte. Jade erkannte in ihrer Reaktion die Besonnenheit, mit der sie auch ihre Sendungen präsentierte. Das machte sie so glaubwürdig. Sie musste kein Interesse heucheln, es war ihre große Leidenschaft, etwas über die Menschen zu erfahren. Als Jade sie nach ihrem Privatleben fragte, das neuerdings wieder zu existieren schien, bestätigte Elisa ihr, dass sie wieder verliebt war. Er war älter als sie, hatte nicht das Geringste mit dem Fernsehmilieu zu tun, wie sie mit einer gewissen Erleichterung betonte, er war zärtlich und aufmerksam. Jade wusste, wie sehr Elisa unter der Fernbeziehung zu einem Mann gelitten hatte, der sich einfach nicht entscheiden wollte. Ein großer Held, der meinte, sie sei zu gut für ihn, zu treu, um sie an sich zu binden, zu schön,um mit ihr zusammenzuleben, zu lebhaft, um ihr seinen schnöden Alltag aufzubürden. Sie war bis über beide Ohren in ihn verliebt und litt und hoffte drei Jahre lang, dann ging sie schließlich auf Abstand, ohne es jedoch zu schaffen, sich richtig von ihm zu trennen. Elisas Gesicht wieder strahlen zu sehen, wenn sie über die Liebe sprach, tröstete Jade an diesem schönen, angenehmen Abend. Sie bestellten einen zweiten
Cuba libre
, um den Jahrestag ihres Kennenlernens beim Salsa und die erfreulichen Neuigkeiten zu feiern. Elisa gönnte sich einen großen Schluck und wurde plötzlich wieder
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