Fruehstueck mit Proust
beim Einsammeln der Scherben geflucht, und seit dem Beginn des Essens schwieg sie.
»Ist etwas nicht in Ordnung, Mamoune?«
»Nicht so wichtig«, murmelte sie. »Geht vorüber …«
»Willst du’s mir nicht sagen?«, fragte Jade.
Mamoune sah ihr lange in die Augen, bevor sie zu sprechen begann.
»Seit die Frauen das Wahlrecht haben, bin ich immer zur Wahl gegangen. Und das hier war eine Präsidentenwahl.«
»Darüber hättest du mit mir reden müssen. Wir hätten alles Nötige einleitet, damit du zur Wahl gehen kannst. Warum hast du nichts gesagt? Ich wusste nicht, dass das so wichtig für dich ist.«
»Es war immerhin das erste Mal, dass wir eine Frau hätten wählen können. Das ist doch keine Kleinigkeit!«
»Jaja, ich gebe zu, du hast ja recht, aber …«
»Du weißt nicht, was es bedeutet, endlich das Recht zu haben, seine Stimme abzugeben wie ein Mann. Endlich eine richtige Bürgerin zu sein! Ich war achtzehn, als die Frauen in diesem Land das Wahlrecht erhielten, icherinnere mich noch genau, wie stolz meine Mutter war, als sie wählen ging.«
»Und du hast bei diesem ersten Mal nicht gewählt?«
»Nein. Du hast vergessen, dass man damals erst mit einundzwanzig volljährig war. Und in dem Jahr, als das Gesetz durch war und die Frauen bei der Kommunalwahl ihren Stimmzettel abgeben durften, legte meine Mutter großen Wert darauf, dass ich sie begleitete, um das Ereignis zu würdigen. Sie wollte nicht mit meinem Vater hingehen, sondern mit der zweiten Frau in der Familie. Das hättest du sehen müssen! Es war lustig. Anfangs hatten die Frauen im Dorf noch ihre kleinen Geheimnisse. Manche wollten nicht so wählen wie ihre Männer und verrieten nichts, damit die es nicht erfuhren.«
Mamoune schwieg, in ihre Gedanken vertieft. Sie unterhielten sich nie über das tagespolitische Geschehen. Jade war der Meinung, das gehöre zu ihrem Beruf, und Mamoune schien es glücklicher zu machen, in ihrem Bücherregal herumzustöbern, als jeden Tag Nachrichten zu sehen. Im Grunde war ihr Leben mit Mamoune fast zeitlos und für sie selbst ein Refugium, in dem sie ihren Beruf und die Unbill der Welt vergaß. Diese überraschende politische Diskussion brachte sie aus der Fassung, missfiel ihr jedoch nicht.
Ja, Mamoune war schon eine Nummer für sich, mit jedem Tag entdeckte sie ein Stück mehr von ihr. Und mit ihr über ihren Roman zu sprechen hatte ihr sogar das Tor zu einem unbekannten Horizont geöffnet: dem des Lesers. Hätte man sie danach gefragt, hätte Jade zugegeben, dass sie las, um sich verführen zu lassen. Aberkonnte ein Schriftsteller besser schreiben, nur weil er sich fest vornahm, seine Leser in den Bann zu ziehen? Das schien ihr zu gewollt, um authentisch zu sein.
Sie wusste nicht genau, wie, aber ihre Großmutter hatte etwas herausgefunden, das Jade für ein Geheimnis gehalten hatte. Man konnte Schriftsteller sein, noch bevor man es wusste. Und wenn Mamoune ihr dabei auch über die Schulter sah und ihr mit ziemlichem Nachdruck befahl, streng mit ihrem Text zu sein – beim Schreiben war Jade allein. Sie allein musste aus seinen Seiten verbannen, was sich mit ihrem Einverständnis hineingeschlichen hatte, und dem Raum geben und sich entfalten lassen, was ohne ihr Wissen hineingeflossen war. Dass ihr stilistische Gefälligkeiten und Schnörkel nicht gleich ins Auge sprangen, lag an der etwas künstlichen Welt des Journalismus, wo solche Kniffe die Erzählung ersetzten.
Aber sie musste zugeben, dass Mamounes Urteil berechtigt war. Aufgeklärt durch ihre Randnotizen, sah Jade ihren Text nun beim zweiten Lesen mit den Augen einer Leserin. Gelegentlich rebellierte sie zwar und warf ihr dann ihr Alter vor … Sie hätte sie auch als Idiotin beschimpft, wenn sie’s gewagt hätte, aber Mamoune spickte ihre einleuchtend klaren Kommentare ganz bewusst mit Beispielen aus den Werken großer Schriftsteller, die Jade bewunderte. Demütig, einfühlsam und präzise offenbarte sie ihr, was an ihrem Roman belanglos war. Aber sie versäumte auch nicht, das Erwähnenswerte und seine Qualitäten zu benennen. Und außerdem … Auf einer Seite des Manuskripts hatte sie notiert:
Wenn man den Autor bemerkt, fragt man sich, was er dort zu suchen hat. Verschwindet seine Gestalt aber nach und nach hinter einem schönen Stil und spürt man hinter den wohlgesetzten
Worten und der edlen Sprache seine Seele nicht mehr, fragt man sich plötzlich, wo er geblieben ist.
Als sie ihr Manuskript in dem Licht las, das Mamoune ihr
Weitere Kostenlose Bücher