Fruehstueck mit Proust
wälzen Ideen, die ich nie hatte, und Probleme, die sich mir nie gestellt haben, und bisweilen unterhalten sie sich in einer Sprache, wie ich sie nie gesprochen habe, obwohl sie der französischen ganz entfernt ähnelt. Das Leben hier hat mich so manches gelehrt. Ich merke jetzt, dass ich ganz andere Berge überwinden kann als jene, die vorher die Kulisse meines Lebens und das Ziel meiner Wanderungen waren.
Meine Hände sind nicht mehr so geschickt wie früher, als sie die kompliziertesten Handarbeiten erledigten, und eine von ihnen verbringt nun ihre Tage auf einem runden Plastikteil namens Maus. Stundenlang versuche ich, einen kleinen Pfeil über den Bildschirm zu lotsen, und kann mir einfach nicht vorstellen, wie er mit der Computersteuerung verbunden sein soll. Ich versuche durchzuhalten, bis meine Augen nicht mehr können, denn ich möchte diese Welt verstehen, die ich gar nicht so virtuell finde, wie immer behauptet wird. Ich lerne über den Bildschirm zu kommunizieren. Und wenn ich mir auch manchmal vorkomme wie eine Weinrebe auf einem Erdbeerfeld, halte ich es doch für das Wichtigste, dass man noch Lust hat, etwas zu säen und neue Pflanzen auf dieser alten Erde wachsen zu sehen.
Jade hilft mir, wird ungeduldig (sie schlägt nicht aus der Art), möchte, dass ich es schneller schaffe, und bricht schließlich in Lachen aus, als ich ihr mitteile, dass ihr PC zwar mit einem schnellen Zugang zum Internet ausgerüstet ist, dies aber leider nicht für das alte Klappergestell gilt, das ihn bedient. Manchmal stelle ich mir vor, ich hätte das alles mit Jean geteilt und am Ende unseres Lebens den Mut gefunden, ihm meine Unaufrichtigkeit zu gestehen, endlich das Wieso, Weshalb, Warum zu beantworten … Wer weiß. Man soll nichts bereuen, dass hält einen davon ab, zu leben. Heute Abend ist Jade ausgegangen. Ich betrachte lange
Die drei Lebensalter
, das Gemälde von Klimt, das sie mir nun vollständig ausgedruckt hat. Ich koche mir eine Suppe, die sie nicht mag, weil zu viel Lauch drin ist, und die ich genau darum so liebe. Ich denke wieder an die drei Frauen auf dem Bild, das Kind in den Armen der jungen Frau; sie sindschön, sehen heiter aus mit ihren geschlossenen Augen, und sie sind in Farbe gemalt. Die Ältere ist grau, gebrechlich und versteckt das Gesicht hinter ihrem Haar. Ich bin diese Alte, die meist weggelassen wird, aber ich weiß, dass ich die anderen beiden in mir trage.
Vor dem Einschlafen werde ich anfangen, das Buch zu lesen, das meine Enkelin mir gerade geschenkt hat, das allererste. Sie kam heute Abend mit diesem Paket und einer geheimnisvollen Miene nach Hause. Schon die Verpackung ließ keinen Zweifel: ein Buch, ein dickes sogar. Ja, aber welches?, fragte ich mich, als ich es aus dem Papier zog, während sie meine Reaktion belauerte.
Stolz und Vorurteil
, gefolgt von
Verstand und Gefühl
von Jane Austen, beide in einem wundervollen Ledereinband. Ich kann mich nicht entsinnen, ihr gegenüber erwähnt zu haben, dass ich diese Schriftstellerin gern kennenlernen würde. »Wie beneide ich dich, dass du sie noch nicht gelesen hast«, sagte Jade mit dieser utopischen Sehnsucht, ein Buch, in das man sich einmal verliebt hat, von neuem entdecken zu dürfen.
» A ls ich dir zugehört habe, konnte ich nicht glauben, dass du erst seit acht Jahren Klavier spielst. Hast du wirklich erst mit siebzehn angefangen und nie vorher ein Instrument angefasst? Wo war die Musik, als du noch nicht spieltest?«
»Ich weiß es nicht, ich habe geschlafen … Ich habe auf etwas gewartet, das ich noch nicht kannte, sicher auf eine Möglichkeit, mich selber kennenzulernen, meine Gefühle freizulegen …«
Rajiv sah Jade lachend an.
»Ich hatte dich gewarnt, er ist genauso bezaubernd und speziell wie seine Musik.«
Yaron Herman, ein Pianist, mit dem Rajiv befreundet war, und Jade lernten sich nach seinem Konzert kennen. Im rötlichen Dämmerlicht des Saals hatte sie gespürt, wie Rajiv ihre Reaktionen belauerte. Aber er musste sie nicht lange beobachten, um zu merken, wie aufgewühlt und ergriffen sie war. Sie war in eine wollüstige Träumerei versunken, und Rajiv machte es doppelt glücklich, seinen Freund zu sehen und seine Musik mit Jade zu teilen. Sie schlenderten durch die laue Nacht und sprachen über die Stücke des Konzerts. Rajiv hatte ihnen angeboten, noch ein Glas bei ihm zu trinken. Sie brauchten nicht lange bis zu seiner Wohnung, die nur ein paar Straßen vom Theater entfernt war.
»Und ihr, kennt
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