Fruehstueck mit Proust
mit seinen großen schwarzen Augen, aus denen die Wahrheit unergründlicher Mysterien zu sprechen schien. Dass mir so ein Unsinn einfällt, dachte Jade, beweist eindeutig, in was für einem kritischen Zustand ich mich befinde!
»Ich wusste schon ein paar Wochen vor jenem denkwürdigen Tag, an dem ich dich in der Metro traf, dass ich dir bald begegnen würde«, flüsterte Rajiv ihr zu.
»Und woher wusstest du es?«
»Oh, ganz einfach. Wenn man daran gewöhnt ist zuzuhören, nimmt man einiges wahr. Ich habe dich soforterkannt, als ich dich sah. Und ich weiß auch, dass du von Geburt an ein Muttermal ganz unten am Rücken hast.«
»Aber … Woher?«
Mit solchen Behauptungen, die Jade anfangs für Späße hielt, verstand es Rajiv, sie zu verunsichern und die Skeptikerin in ihr wachzukitzeln. Was er sagt, hat Sinn, denn es gibt Mamoune, dachte Jade, ohne zu wissen, warum. Es ging auf zwei Uhr morgens zu, und sie dachte an ihre Großmutter, die allein zu Hause war …
Aber wenn ich Ihnen doch sage, dass ich es nicht kann … Dieser Typ ging ihr auf die Nerven mit seiner Aufforderung, sie solle Klavier spielen, weil sie es angeblich irgendwann einmal gelernt hätte, und dazu dieses Klingeln, das gar nicht aufhören wollte … Konnte denn nicht mal jemand aufmachen? »Ja, ich komme doch schon«, rief Jade im Schlaf. Ihre eigene Stimme riss sie schließlich aus ihrem musikalischen Alptraum. Sie stolperte über ihre Pumps, die mitten in ihrem Arbeitszimmer herumlagen, und tastete sich zur Eingangstür. Wo war denn Mamoune bloß hin?
»Entschuldige, ich wusste nicht, dass ich dich um halb zwölf noch wecken würde …«
Gaël, ihr alter Freund aus Sandkastenzeiten, stand mit einem Blumenstrauß in der Hand im Flur, in Jeans und weißem T-Shirt. Jades Blick fiel auf einen Zettel an der Tür, auf den Mamoune gekritzelt hatte, dass sie einkaufen gegangen sei.
»Du weckst mich nicht. Ich habe nur ein bisschen … Wir haben gefeiert gestern.«
»Das sehe ich … Willst du einen Kaffee, ein Brot, ich mache dir was, während du dich anziehst …«
Jade brach in Lachen aus, als sie merkte, dass sie im Slip an der Wohnungstür stand. »Kaffee unbedingt, einen starken, bitte«, rief sie ihm zu und eilte ins Badezimmer, »in zwei Minuten bin ich wieder bei dir.«
»Lass dir ruhig Zeit. Da ich mich in deiner Küche ja nicht auskenne, brauche ich wahrscheinlich genauso lange wie du!«
Eine Viertelstunde später saß Jade Gaël gegenüber und dachte, wie unersetzlich einer wie er doch war. Sie betrachtete sein kurzgeschnittenes braunes Haar, das ihm etwas von einem braven kleinen Jungen gab, seine grünen Augen, sein trotz der unregelmäßigen Züge charmantes Gesicht. Er hatte, was man einen Charakterkopf nennt. War er ein schöner Mann? Sie wäre nicht in der Lage gewesen, das zu sagen, denn sie kannten einander schon immer. Er gehörte zu der Kategorie von Männern, die sie nie begehrt hatte, mit denen sie über alles reden konnte, ohne irgendwelche Lügen oder Spielchen, also ohne sich zu verstellen: Er war einfach ihr bester Kumpel. Sie hatte ihm soeben von ihrem Abend mit Rajiv erzählt und versuchte einzuschätzen, wie merkwürdig ihre Beziehung zu diesem Mann war.
»Ich glaube, es gibt Körperstellen, die wir gar nicht richtig kennen. Sie sind für jeden erreichbar und sichtbar, wir wissen nur einfach nicht, dass es sie gibt und dass sie sich danach sehnen, berührt, wenn nicht gar zum Leben erweckt zu werden. Warum grinst du, du findest es wohl sehr lustig, was ich dir erzähle?«
»Jade, ich kenne dich noch aus Schulzeiten. Ich habe es so oft miterlebt, wie du dich verliebt hast. Du hast mir die Serenade der vor Erregung glühenden Körper vorgespielt, der leidenschaftlichen Begegnung zweier Seelen,vom Mann deines Lebens … Ich amüsiere mich nur über deinen ewigen Enthusiasmus. Du hast also, wenn ich dich recht verstehe, nicht die Nacht mit diesem Rajiv verbracht?«
»Aber nein. Nach dieser Massage, oder sagen wir eher nach diesem mindestens zweistündigen Feuerwerk der Zärtlichkeit, das an meinen Knien endete und mich völlig verrückt gemacht hat, bin ich brav nach Hause gegangen.«
»Hat er dich nicht mal geküsst?«
»O doch! Das Innere meiner Handgelenke, und zwar minutenlang … Es war göttlich …«
»Ich weiß ja nicht, ob er dich noch bis zum Äußersten bringen wird, aber dieses Getue macht ja geradezu Hoffnung auf eine Herzattacke!«
»Ich verbiete dir, das ›Getue‹ zu nennen! Er ist sehr
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