Fruehstueck mit Proust
ihr euch schon lange?«
Die beiden Männer wechselten einen kurzen Blick,und Jade spürte, dass Yaron seinen Freund als Ersten reden lassen wollte.
»Ich war auch Konzertpianist. Für klassisches Klavier. Jedenfalls hatte ich das vor. Anders als Yaron habe ich vor sehr langer Zeit mit der Musik begonnen, und ich war, wie’s scheint, wohl auch recht begabt. Wir haben uns auf einem Festival kennengelernt …«
»Er ist ein genialer Musiker, der beschlossen hat, seine Hände ganz dem Dienst an der Welt zu widmen«, scherzte Yaron.
»Soll das heißen, du spielst nicht mehr?«, fragte Jade.
»Aber sicher, und
Für Elise
kriegt er bestimmt noch hin, wenn man ihn nett darum bittet.«
»Ja, aber nicht mehr professionell!«, erklärte Rajiv und überging den Spott seines Freundes. »Ich spiele nur noch zu meinem Vergnügen oder für Leute, die Lust haben, mir zuzuhören. Sagen wir, ich habe mich für eine andere Art von Partitur entschieden, und ich habe es nicht bereut. Ich hole uns etwas zu trinken … Champagner für alle? Bitte erzähl doch der jungen Dame, warum ich kein Konzertpianist mehr sein werde, mein Herzensbruder.«
Und Yaron berichtete Jade mit einer gewissen Bewunderung von Rajivs Initiationsreise nach Indien, von der er ihr auch schon ein paar Eindrücke geschildert hatte, ohne jedoch seine Abwendung von der Musik zu erwähnen. Dieses unbekannte Land seiner Wurzeln zu entdecken hatte Rajiv für immer verändert in den sechs Monaten, die er dort verbrachte. Nach seiner Rückkehr gab er das Klavierspielen auf und beschloss, Medizin zu studieren, dann begab er sich in die Forschung und spezialisierte sich auf Generika. Rajiv kam mit einer Flasche und Gläsern zurück. Wieder war Jade verblüfft über dietänzerische Anmut seiner Gesten. Und was Yaron ihr über seine Vergangenheit als Pianist verraten hatte, brachte ihn ihr noch näher. Sie hatten ja noch nie miteinander über Musik geredet, allenfalls ein paar Namen von Musikern erwähnt.
»Er hat dir bestimmt eine Menge Blödsinn über mich erzählt, was? Kaum wende ich ihm den Rücken, nutzt er es auch schon aus, um hübsche Mädchen anzubaggern.«
»Das stellst du dir so vor. Nein, ich habe Jade lediglich erklärt, dass du mit deiner hohen Intelligenz ebenso gut kleine Moleküle aufspüren wie Skrjabin spielen kannst. Vom Champagnerservieren verstehst du allerdings gar nichts. Lass mich das mal machen …«
Jade lachte und tupfte die überschäumende Flüssigkeit vom Tisch. Es war das erste Mal, dass sie bei Rajiv war … Sie saßen in einem großen, unaufgeräumten Zimmer, in dem überall Bücher verstreut lagen, mit einem riesigen Bett voller indischer Kissen, doch abgesehen davon sah es aus wie jedes andere Zimmer eines alleinstehenden Mannes in den Zwanzigern. Yaron starrte auf den Berg von Kleidungsstücken und Papieren, die sich auf einem glänzenden schwarzen Möbelstück türmten.
»Hast du dir wieder ein Klavier gekauft?«
»Nein, ich habe meins nur von einem Freund zurückbekommen, der umgezogen ist. Mach dir keine Hoffnungen …«
Dann drehte er sich zu Jade um, als sei er ihr eine Erklärung schuldig, und erzählte ihr, dass er nach der Aufgabe seiner musikalischen Karriere den Anblick des Instruments, das ihm früher so am Herzen lag, nicht mehr habe ertragen können.
»Die Entscheidung selbst ist mir nicht schwergefallen,aber weil ich ja die ganze Zeit gespielt hatte, musste ich erst einmal diesen Reflex loswerden, mich ans Klavier zu setzen und mich meinen Etüden zu widmen. Anfangs ging es mir mit meinem Instrument wie anderen mit Zigaretten. Entzugserscheinungen eben. Nachdem ich es aus meiner Wohnung verbannt hatte, war ich imstande, morgens um zwei Uhr die Kneipen in meinem Viertel nach einem Klavier abzuklappern. Das ging so weit, dass ich in einem halbseidenen Nachtlokal die
Nocturnes
von Chopin spielte. Die reinste Entziehungskur! Das ist vier Jahre her, jetzt bin ich endlich geheilt! Ich setze mich ans Klavier, wenn ich Lust dazu habe, oder ich denke monatelang gar nicht daran.«
Seine Entscheidung machte Eindruck auf Jade. Und Yaron schien, trotz seiner Scherze, großen Respekt vor dem Weg zu haben, den sein Freund eingeschlagen hatte. Ein paar Minuten später boten sie ihr das lustigste vierhändige Spiel dar, das sie in ihrem Leben je gehört hatte. Dann zog Yaron sich diskret zurück, angeblich weil er ein Rendezvous mit seiner Freundin hatte, und Rajiv begann sie hinter seinem Lächeln zu mustern. Er betrachtete sie
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