Fruehstueck mit Proust
sensibel, er hat mich halt nicht überrumpelt. Vor der Massage hat er zu mir gesagt: ›Ich gehe nur bis zu Ihrer Kniekehle, Jade …‹«
»Sag bloß, er siezt dich auch noch!«
»Aber nein! Also, manchmal doch, aus Spaß oder um mich zu verführen. Du kannst das nicht verstehen. Einen verstecken Winkel im intimsten aller Orte konnte ich mir schon vorstellen, aber was ich jetzt entdeckt habe, ist sehr viel köstlicher. Jede noch so unbedeutende Parzelle der Oberfläche meines Beins birgt eine unermessliche Zahl strategischer Punkte. Das ist doch unglaublich pikant. Man sollte lange Kleider tragen.«
»Das hatten wir schon mal, meine Schöne, lang, lang ist’s her.«
»Dabei hat alles damit angefangen, dass ich ihn bat, mir etwas auf dem Klavier vorzuspielen …«
»Das kommt davon, wenn man die Fingerfertigkeit eines ex-zukünftigen Konzertpianisten anzweifelt.«
»Er wäre phantastisch gewesen!«
»Offensichtlich ist er das auch so.«
Jade war so glücklich über Gaëls spontanen Besuch, dass sie über seine ironischen Bemerkungen lachte und ihr unangenehmes Erwachen darüber vergaß. Sie musste einfach mit jemandem, der sie gut kannte, über dieses sinnliche Abenteuer reden. Doch ihr Freund schien die Tragweite dessen, was sie ihm erzählte, nicht ganz zu ermessen. Es war ja auch schwer, nicht ins Komische abzugleiten bei dem Versuch, jemand anderem eine Begegnung zu beschreiben, die sie selbst nicht mal richtig einordnen konnte.
»Entschuldige, dass ich so konkret werde, Jade, aber war deine Geschichte mit Julien rein platonisch?«
Die Wohnungstür war aufgegangen, und Jade legte den Finger auf ihre Lippen. Mamoune betrat das Zimmer und strahlte. Sie hielt Blumen in der Hand und zog einen kleinen Einkaufstrolley hinter sich her, der mit Obst und Gemüse gefüllt war.
»Du bist ja aufgewacht, meine Kleine … Meine Güte, Gaël, bist du es wirklich? Sie sind aber erwachsen geworden. Das letzte Mal habe ich dich wohl gesehen, als du fünfzehn warst. Ich weiß gar nicht, ob ich dich jetzt duzen oder siezen soll. Wohnen Sie hier in der Nähe?«
»Zwei Metrostationen weiter, mehr kann meine Freundschaft zu Jade nicht ertragen, aber bitte siezen Sie mich nicht, Mamoune. Für mich waren Sie auch immer ein bisschen wie eine Großmutter. Ich war so oft bei Ihnen, als ich klein war.«
»Gebt mir einen Kuss, meine Süßen! Ich habe Traubenund Feigen gekauft. Ich habe mir schon gedacht, dass du spät nach Hause gekommen bist, weil ich dich nicht mehr gehört habe. Als ich heute Morgen sah, dass du noch schliefst, habe ich beschlossen, nicht auf dich zu warten, und habe ein paar Kleinigkeiten besorgt.«
Jade hielt der Großmutter eine Standpauke, weil sie sich ohne ihre Hilfe so abgeschleppt hatte, aber Mamoune schien nicht geneigt, ihr zuzuhören. Sie ging ganz darin auf, die Blumen in einer Vase zu arrangieren. »Na bitte, die Tulpen passen doch wunderbar zu den schönen Schwertlilien, die du mitgebracht hast«, sagte sie zu Gaël, der ihr komplizenhaft zuzwinkerte.
Dann zog sie sich mit ihren Einkäufen in die Küche zurück, schließlich war das, was die beiden sich zu erzählen hatten, sicher nur für junge Leute bestimmt, und außerdem musste sie sich um die Zubereitung des Bratens kümmern.
Mamoune
I ch glaube, ich fange an, Fortschritte zu machen. Ich habe begriffen, dass dieses teuflische Suchinstrument namens Internet wie die Matroschkas funktioniert. Wer einen Blick riskiert, den entführt es gleich auf irgendeine Seite, die ihn zu einer anderen weiterleitet, die ihn wieder irgendwohin lockt, und am Ende landet er ganz woanders. Ich muss bei der Recherche diszipliniert und gewissenhaft vorgehen, um nicht in diesen Tunnel von »Websites« eingesaugt zu werden, der mich von meinem eigentlichen Vorhaben ablenkt. Ich kenne mich noch nicht richtig aus und weiß manchmal nicht, wie ich wieder zu den Seiten zurückgelange, die mir vielleicht endlich meine Fragen beantworten. Über viele solcher Umwege habe ich schließlich eine Liste von Verlagen zusammengestellt, die sich für Jades Roman interessieren könnten, wenn man ihn in seiner überarbeiteten Fassung vorlegt. Ich vergleiche die Profile der Verlage, sehe mir an, ob und wie sie Autoren auffordern, ihnen Manuskripte zuzusenden. Ich notiere für Jade ein paar Sätze, die ich mir von ihren Seiten abgeschrieben habe und die mich amüsieren.
»Was macht heute einen guten Verleger aus? Sich den literarischen Traditionen und Werten verbunden zu fühlen,
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