Fruehstueck mit Proust
Kleine?«, habe ich Jade gefragt.
»So etwas wie geheime Stimmen, ja. Und ich fühle mich verpflichtet, sie aufzuschreiben. Ich sehe die Dinge ohnehin nie so wie andere. Aber was ich dir da erzähle, ist mir selbst nicht ganz klar.«
»Jedenfalls ist es ein schöner Grund zu schreiben. Ich frage mich gerade, ob ich akzeptiert hätte, dass mir jemand all das, was ich in den Büchern gelesen habe,
in echt
erzählt hätte, wie die Kinder es nennen.«
»Siehst du, Mamoune, durch die Fiktion wird es zu meiner Wahrheit. Aber die Worte, mit denen es dargestellt wird, sind nicht mehr dieselben.«
Nach diesem Gespräch mit Jade habe ich noch einige Gründe mehr, meinem Monsieur Couvin einen Brief zu schreiben.
Heute Nachmittag spaziere ich über einen Friedhof hier im Viertel und habe danach wie immer das Gefühl, noch einmal ganz knapp davongekommen zu sein. Ich weiß nicht, warum, aber wenn ich an meinen Tod denke, sehe ich mich immer mein erstes Kind wickeln, kurz nach der Geburt. Dann geht der Gedanke seinen Weg, und ich komme wieder zur Vernunft. Warum sollte ich auch ausgerechnet jetzt sterben, wo ich noch so viel zu erledigen habe? O nein, Jeanne, kein Mitleid und keine Ausflüchte, schreiben wir also diese – wie hieß das noch? – diese »E-Mail«, vor der wir uns so fürchten. Ach, all diese neuen Wörter!
Nach der Lektüre seiner Ansprache an die möglichen Romanautoren unter seinen Lesern, wusste ich auch, dass es einen roten Faden gab in den verschiedenen Büchern, die dieser Albert Couvin herausbrachte. Das sage ich ihm zu Beginn meines Briefes …
Ihre Begeisterung für das Neue lässt mich daher vermuten, dass meine Enkelin bei Ihnen einen aufmerksamen Blick für ihren ersten Roman finden könnte.
Dann erkläre ich ihm mit wenigen Worten, warum ich seit einigen Wochen bei ihr lebe. Ich verrate ihm, dass ich mein Leben lang heimlich gelesen habe …
Da Sie, wie ich Ihrer Biographie entnehme, in meinem Alter sind, muss ich Ihnen nicht erklären, dass es in bestimmten Milieus nicht gern gesehen wurde, wenn jemand las, vor allem, wenn es sich um eine Frau handelte …
Ich darf aber auch nicht vergessen zuerwähnen, dass ich in meiner sehr bescheidenen Eigenschaft als leidenschaftliche Leserin Jade angeboten habe, ihr bei der Durchsicht ihres Manuskripts zu helfen … Soll ich die Schwierigkeiten ansprechen, die diese Aufgabe mir stellt? Warum nicht …
Aber es ist eine Sache, zu lesen, und eine andere, dem Autor über diese Lektüre Rechenschaft abzulegen. Nachdem ich Jades Roman gelesen hatte, habe ich ganz offen mit ihr darüber geredet; nun aber packt mich der Zweifel, und ich frage mich, ob ich überhaupt die Kompetenz dafür habe …
Wird er, wenn ich ihm meine Bedenken schildere, meinen Wunsch verstehen, dass ein Lektor weiterführen möge, wozu ich nicht imstande bin?
Es hat einige Zeit gedauert, bis ich die richtigen Worte und einen schlüssigen Ablauf fand und überhaupt wusste, was ich ihm sagen wollte. Dieser Brief ließ mich nachfühlen, welche Arbeit es für einen schreibenden Menschen bedeutet, sich mühsam voranzutasten, um richtig verstanden zu werden. Am Schluss bitte ich ihn noch um Verständnis, dass ich nur eine einfache Frau vom Land bin, die nie in ihrem Leben geschrieben hat, außer vielleicht dem Finanzamt oder der Versicherung.
Damit bin ich noch nicht am Ende meiner Mühen; als ich das Ganze in den Ordner für E-Mails speichern will, muss ich wieder mal mit der Technik kämpfen. Und nachdem ich auch dieses Problem einigermaßen zufriedenstellend gelöst habe und mit der Maus auf »Senden« klicke, passiert überhaupt nichts. Ich traue mich nicht, irgendetwas zu tun, aus Angst, meinen Brief zu verlieren. Ich betrachte den Bildschirm und erinnere mich dann, was Jade über meine Adresse gesagt hat. »Jeannef«,dahinter das
a
in der Seifenblase und dann, was ich immer vergesse, dieses öffentliche Postfach, das meinen Brief auf die Reise schickt. Ich starre auf das Fensterchen, mustere es einen langen Moment, und schließlich erhalte ich eine Meldung, die mir sagt, dass ich vergessen habe, die Adresse des Empfängers anzugeben.
Ich finde es schrecklich, mich mit einer so sturen Maschine herumschlagen zu müssen, die über keine menschliche Logik verfügt. Im täglichen Leben muss ich alle möglichen Aufgaben lösen, und mein Denkvermögen und mein gesunder Menschenverstand – mein Grips, wie meine Mutter zu sagen pflegte – lassen mich nie im Stich. Noch nie in meinem
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