Fruehstueck mit Proust
irgendwie zur Hand zu gehen, wenn sie einen besonders erschöpften Eindruck machte. Sie hatten auch vereinbart, dass sie ihr alle vier Wochen einen Termin beim Friseur besorgte, womit Mamoune allerdings nur unter der Bedingung einverstanden gewesen war, selber zu bezahlen und ihre Enkelin hin und wieder einladen zu dürfen.
Mamoune hatte sie es sogar zu verdanken, dass sie sparsam geworden war. Aus Angst, ihre Einkünfte zu verschleudern, war sie in ihrer Buchführung sehr pingelig und verzeichnete nun viel weniger Ausgaben als früher. Im Grunde hatte sie zum ersten Mal in ihrem Leben überhaupt einen Überblick über ihre Finanzen.Sie ging auch seltener aus, und da Mamoune sich an den Ausgaben beteiligte, musste Jade sich von ihrem Bankangestellten nicht mehr sagen lassen, sie führe bei ihm kein Konto, sondern ein Manko.
Es war ein denkwürdiger Tag, als sie Mamounes Garderobe erneuerten. Jade half ihr, ein paar Blusen auszuwählen, indem sie ihr Träume in Spitze aufdrängte, die sie nie an ihr gesehen hatte.
»Du lebst nicht mehr auf dem Land. Du bist jetzt eine kleine Pariserin.«
Ihre Großmutter antwortete, ein Strumpfhalter mache noch keine Tänzerin. Jade spürte, wie glücklich sie war, und sagte sich mit einem kleinen Stich im Herzen, dass doch jede Frau bis zu ihrem Tod einen Hauch von Koketterie in sich bewahrte. Und zwischen den einzelnen Einkäufen gingen sie einen Tee trinken, damit Mamoune sich ausruhen konnte, wobei Jade ihr versicherte, dass auch sie mal eine Pause von dem Menschengewühl brauche.
»Glaub mir, Mamoune, für mich ist es genauso anstrengend wie für dich, die Läden abzuklappern. Viel lieber setze ich mich zwischendurch mit dir irgendwo hin und plaudere, danach genieße ich es auch wieder, etwas Schönes mit dir auszusuchen. Außerdem lausche ich gern den Erinnerungen, die dir in den Sinn kommen, wenn wir zusammen unterwegs sind.«
Und lächelnd erzählte Mamoune. Zum Beispiel die Geschichte von dem Hochzeitskleid, das ihre Tante für sie angefertigt hatte. Sie hatte ihr einen Wollstoff ins Futter genäht, der sie vor der Kälte schützen sollte, denn die Hochzeit fand im Winter statt. Der Juckreiz, der Mamoune während der ganzen Trauungszeremonie quälte,ließ sie sehnlichst wünschen, die Hochzeitsnacht möge ihr nicht so sehr die körperliche Liebe offenbaren als eine Kratzorgie schenken, die sie endlich von ihrer Allergie befreien würde. Und köstlich amüsierte sich Jade über die Geschichte von der Gutsherrin des Dorfes, deren junger Ehemann in einem Winkel des Schlosses einen vergessenen Keuschheitsgürtel gefunden hatte. Aus Spaß hatte er seine Frau gebeten, ihn anzuprobieren. Leider hatten sie vorher nicht daran gedacht nachzusehen, ob es auch einen Schlüssel dazu gab, um ihn wieder zu öffnen. So wurden mitten in der Nacht Jeanne und ihr Mann zu Hilfe geholt. Der Hausmeister des Schlosses dachte sich, Großvater Jean hätte bestimmt das passende Werkzeug, um die junge Frau zu befreien, und vor allem würde Mamounes legendäre Diskretion dem prominenten Paar den Spott des ganzen Dorfes ersparen.
Dieser Tag hatte für Mamoune einen regelrechten Spagat zwischen den Erinnerungen bedeutet, mit denen sie Jade erfreute, und ihrem Körper, den sie weniger bereitwillig für Anproben zur Verfügung stellte als ihr Gedächtnis. Sie zog sich artig um, weigerte sich aber entschieden, den Vorhang aufzuziehen, um sich mit größerem Abstand im Spiegel zu betrachten. In manchen Läden wurden sie auch von eingebildeten Girlies bedient, die wohl der Ansicht waren, oberhalb von fünfzig Jahren und sechzig Kilo habe eine Frau sich im Versandhaus einzukleiden und ihren Körper nur ja nicht aus dem Haus zu bewegen. Und rührend waren Mamounes Auswahlkriterien: zu sparen, auf Qualität und Zusammensetzung der Stoffe zu achten und langlebige Waren auszusuchen – Werte, die einst zu ihrer Zeit gegoltenhatten. Doch als sie von einem Mantel zu schwärmen begann, der nach zwanzig Jahren noch immer wie neu aussähe, konnte sich Jade ein wenig Spott doch nicht verkneifen:
»Wie recht du hast. Wenn ich dich in weiteren zwanzig Jahren zum Essen einlade, sollte dein Mantel in der Tat noch gut aussehen, sonst muss ich dich leider zu Hause lassen …«
Mamoune brach in Lachen aus und nannte sie ein böses Mädchen. Ja, sie gaben bestimmt ein ungewöhnliches Bild ab, die Achtzigjährige und die Dreißigjährige, die sich gegenseitig Geschenke machten und ihren verrückten Kleiderlaunen
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