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Fruehstueck mit Proust

Fruehstueck mit Proust

Titel: Fruehstueck mit Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frédérique Deghelt
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glaube zu erahnen, was sie über die Jahre, die sie Seite an Seite verbringen werden, noch nicht wissen können. Die Harmonie, die sie unbewusst verströmen, erfüllt mich mit Freude. Vielleicht haben sie ja recht. Wir, die Alten, haben noch viele Dinge im Gedächtnis, die wir den jungen Leuten erzählen können, denn in der einen Hand brauchen sie eine Portion Vertrauen in die Zukunft und in der anderen eine Spur Vergangenheit.

 
    S echs Monate nachdem Mamoune bei ihr eingezogen war, waren alle Befürchtungen von Jade verflogen. Es war nicht alles einfach, und einige Kleinigkeiten im Alltag waren sogar richtig kompliziert. Morgens zum Beispiel schloss sie immer alle Fenster, die Mamoune zuvor geöffnet hatte. Als warmblütige, an frische Luft gewöhnte Bergbewohnerin riss Mamoune die Fenster auch bei Regen und Sturm auf. Jade hasste die Kälte, vor allem morgens nach dem Aufstehen, und hatte ihr schon mehrfach zu erklären versucht, dass es keine geeignete Lüftungsmethode sei, die Fenster gerade dann aufzureißen, wenn auf der Straße der Verkehr tobte. Doch solche kleinen praktischen Details waren nichts im Vergleich zu dem, was Jade erlebte, wenn sie Mamoune ins Museum oder ins Kino mitnahm an Tagen, an denen sie nicht zu erschöpft war. Denn sie traute Mamounes Enthusiasmus nicht; ihr Drang, das Leben ihrer Enkelin auf keinen Fall zu erschweren, sondern aufzuheitern, war ihr mitunter nicht ganz geheuer. Mamoune sagte dann mit kindlichem Hochmut:
    »Pff, achtzig Jahre. Die habe ich zwar auf dem Buckel, aber die kriegen mich nicht klein. Ich fühle mich viel besser als mit sechzig, denn da war ich noch so daran gewöhnt, wie ein junges Zicklein durch die Gegend zu springen, dass ich gleich ins Jammern verfiel, sobald es im Räderwerk meines Körpers mal leise knirschte. Ungefähr in dieser Zeit entdeckte ich Muskeln, Nerven undGelenke, von denen ich vorher nichts ahnte. Als wollten sie mich für meine Unwissenheit bestrafen, teilten sie mir auf diese Weise mit, was alles noch auf mich zukommen konnte.«
    Mit ihrer tatsächlichen Befindlichkeit hielt Mamoune geschickt hinterm Berg, doch mit der Zeit lernte Jade an kleinen Zeichen zu erkennen, wann sie ihr keine Aktivitäten zumuten durfte. An ihrer Art, sich zu bewegen, sich hinzusetzen oder zu blinzeln. An dem Schwung, den ihre Gesten hatten oder eben nicht, wenn sie sich von Jade unbeobachtet glaubte. Sie tat alles, um ihre Kraftlosigkeit zu vertuschen, und hielt sich an den Vorsatz, aktiv zu sein, solange sie lebte, denn wer nicht aktiv war, der war tot.
    Wenn Jade sie jeden Tag so sah, wurde ihr bewusst, wie schnell die Zeit verging. Nein, der Spruch müsse andersherum lauten, sagte Mamoune und verglich das Leben mit dem Kaffee.
Wir
sind das Wasser, das durch das Pulver gepresst wird, um von ihm ein für alle Mal verändert zu werden: entweder sind wir dann zu bitter oder zu fade und nur ganz selten … einfach perfekt. Jade hatte also begriffen, dass man das Alter an einer Verlangsamung des Körpers erkannte, die das Grausamste war. Sie lernte ihr Ungestüm zu bremsen, wenn sie Mamoune zeigte, wie man diese oder jene Computerfunktion benutzte. Was ihr logisch erschien, war es für Mamoune noch lange nicht, die auf stur stellte, wenn sie sich von Jades ungeduldigen Bemerkungen blockiert fühlte und zugleich darüber ärgerte, es nicht schneller zu begreifen. Mehrmals waren sie nur um Haaresbreite einem Zerwürfnis entgangen. Ihr Idealbild von einer Mamoune, die sich nie aufregte und die Liebe in Person war, hattedadurch einige Schrammen erlitten. Wie manche Menschen hinterm Steuer ihres Wagens, so war ihre Großmutter vorm Bildschirm des Computers: seltsam und bereit zu töten …
     
    Eines Abends fragte Mamoune sie ganz schüchtern, ob es ihr etwas ausmache, sie in ein Wäschegeschäft zu begleiten, und Jade schämte sich, dass sie nicht schon selbst daran gedacht hatte, es ihr vorzuschlagen. Als wollte sie ignorieren, dass auch ein alternder Körper Kleidung brauchte und eine Frau, selbst wenn sie nicht mehr in dem Alter war, jemanden zu verführen, deshalb nicht auf Unterwäsche verzichten konnte – Kleidungsstücke, die für junge Frauen wie Jade aus Seide, Spitze, Rüschen und raffinierten Extras bestanden, für sie und ihre Partner …
    Obwohl Mamoune es als Ehrensache verstand, sie nie um etwas zu bitten, bot Jade ihr häufig ihre Hilfe an, wenn sie ins Bad ging. So hatte sie es sich zur Gewohnheit gemacht, ihr die Haare zu fönen oder ihr sonst

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