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Fruehstueck mit Proust

Fruehstueck mit Proust

Titel: Fruehstueck mit Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frédérique Deghelt
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erklären wollte. Er schien nachzudenken. Auchmeine Gedanken gingen auf Wanderschaft. Mir wurde bewusst, dass wir auf derselben Erde geboren waren, dass wir denselben Himmel liebten, denselben Frühling atmeten, vor Rührung über die schönen Farben des Herbstes weinten – nur zwei Täler voneinander entfernt. Welche Überraschungen das Leben doch bereithielt! Theatercoups, Menschen, die schattenhaft aneinander vorbeiliefen: Wie gern hätte ich mich einmal in die Kulissen der Wirklichkeit geschlichen, ein bisschen wie eine Leserin in die Bücher.
    »Haben Sie am nächsten Wochenende Zeit, Jeanne?«
    Alberts Frage riss mich aus meinen Träumereien. Als hätte ich in meinem Alter den Terminkalender eines Ministers!
    »Was planen Sie denn für mein Wochenende, Albert?«
    »Ich möchte Sie ans Meer einladen! Um es zu sehen, brauchen Sie nur durch mein Gartentor zu gehen. Wir fahren nach La Croix-Valmer, auf die Halbinsel von Saint-Tropez, wo mein Haus steht, meins, nicht das der besagten Familie, zu der ich nie gehört habe. Und dort werden Sie in meiner Gesellschaft die ersten Schritte im Sand machen.«
    Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte. Dass ich Jade um Erlaubnis fragen müsste? Das wäre doch lächerlich. Ich war entzückt, und ich wusste nicht recht, welche Bedeutung ich diesem Wort geben sollte. Mir war so bewusst, dass ich erlebte, was mir gerade widerfuhr, dass ich mich plötzlich fragte, ob ich es nicht doch las! Ein Satz aus Stendhals
Rot und Schwarz
kam mir in den Sinn:
»Da Madame de Rênal niemals Romane gelesen hatte, waren alle Stadien ihres Glücks für sie neu …«

 
    Z um ersten Mal in ihrem Leben hatte Jade nicht das Gefühl, etwas zu vermissen. Sie war mit ihrem Leben wunschlos glücklich. Das war neu, und es stimmte sie fröhlich, denn immer hatte ein Mantel von Traurigkeit und Unzufriedenheit auf ihrer Seele gelegen. Sie verbrachte nun ganze Tage mit ihrem Roman. Sie hatte ihn gehasst, weil er so wenig dem entsprach, was sie mit ihm ausdrücken wollte, und nun entdeckte sie, was für ein Glücksgefühl es war, das zutage zu fördern, von dem sie hoffte, dass es das Beste war. Dank Mamoune konnte man ihr Manuskript nun als Fundgrube des Glücks bezeichnen. Von ihrem Tatendrang konnte sie sich im Moment zwar noch nichts kaufen, aber immerhin lenkte er sie von den Enttäuschungen eines Berufes ab, den sie einmal mit Leidenschaft ausgeübt hatte. Die ungeheure Verschwendung in letzter Sekunde abgelehnter Artikel und die vielen Honorare, die ihr die Zeitungen noch schuldeten, hatten ihren Enthusiasmus in letzter Zeit etwas abgekühlt. Sie begann den Tag damit, die ausstehenden Summen in zunächst kurzen charmanten Mitteilungen einzufordern, die im Laufe der Zeit einen härteren Ton bekommen sollten. Sie würde sie schon weich kochen. Dann legte sie Musik auf: Bachs
Goldberg-Variationen
, gefolgt von den Suiten für Violoncello oder den Gesängen des Kammerchors Accentus, die vor allem Mamoune sehr mochte. Morgens in der Küche setzte sie sich mit der Kaffeetasse in der Hand auf den orangefarbenenSessel, den sie für sich auserkoren hatte, und blickte, den Kopf in einer Art Verzückung zur Seite geneigt, ins Leere. Anschließend frühstückten sie noch gemeinsam, bevor Jade sich wieder an die Überarbeitung ihres Textes machte. Dabei kam sie sich vor wie eine Schneiderin, die ursprünglich einen Rock kürzen wollte, sich dann aber spontan entschließt, ihn in ein Ballkleid zu verwandeln! Das erforderte einige Überlegungen und neuen Stoff, aber schrecken konnte es sie nicht mehr.
    Wenn sie ihren Weg betrachtete – und da sie gerade im Begriff war, ihn zu verlassen, war dies der richtige Zeitpunkt –, so hatte sie ihre Sehnsucht nach diesem Existentiellen, das sie nicht benennen konnte, mit sich herumgeschleppt, bis sie zu schreiben begann. Dann hatte sie, unter dem Vorwand, es nicht mehr zu brauchen, so getan, als entferne sie sich davon. Sie hatte den seichten Plauderton der Zeitschriften mit Literatur verwechselt. Und da die heutige Zeit angeblich nichts mehr mit anspruchsvollerem Schreiben anzufangen wusste, hatte auch sie sich mit dem Gewöhnlichen begnügt. Sie hatte ihre Erzählungen im gefälligen Ambiente des Journalismus angesiedelt, was ihr bei den Recherchen allerdings nicht viel Freiheit ließ, sondern ihr Handschellen anlegte, mit denen sie gleichwohl ein paar Seiten zu füllen versuchte. Sie wusste nicht, welches Ereignis in ihrem Leben all dies nun in Frage gestellt

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