Frühstück um sechs
nicht mit weiteren Verabschiedungen aufzuhalten. Es
war sehr dunkel draußen. Da die Batterie meiner Taschenlampe verbraucht war,
fiel ich beinah über zwei Leute, die mit dem Rücken zu mir standen und so in
ihr Gespräch vertieft waren, daß sie mich nicht kommen hörten.
Es war also doch nicht Tim
gewesen, der so gereizt hupte, denn er stand hier und hielt Anne eng
umschlungen. Ich hörte ihn in einem Ton höchster Seelenangst sagen: »Oh, Anne,
Anne, warum mußt du nur noch so jung sein, so jung...«
Da machte ich kehrt und entfloh
nach der entgegengesetzten Richtung, wobei es mich kaum kümmerte, daß ich über
die eigenen Füße stolperte und mir eine Leiter in meine besten Nylonstrümpfe
riß.
Nicht einmal Paul erzählte ich,
was ich gehört hatte, aber Tims Stimme verfolgte mich. Was war da im Entstehen?
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Die Antwort mußte wohl lauten:
Nichts Besonderes.
Ich hatte geglaubt, nach dem
hochdramatischen Abend müsse sich Gewaltiges ereignen, doch alles schien in
vollkommener Flaute zu enden. Das war eine Enttäuschung, zugleich aber
beruhigend. Wir waren froh, daß der Abend des lauten Geselligkeitsrummels
hinter uns lag und ordneten uns zufrieden wieder ins Alltagsleben ein. Und
selbst wenn wir gewollt hätten, wären wir nicht dazu gekommen, alles noch
einmal durchzusprechen, denn Anne sahen wir in den nächsten zwei Wochen nicht
und Larry sprach ich nur am Telefon.
Wir waren jetzt mitten in der
Lammzeit, und da fand Tim wahrscheinlich keine Zeit zum Grübeln.
In den nächsten Wochen brachten
wir fast jeden Tag draußen bei den Schafen zu. Viele Lämmer kamen in schneller
Folge zur Welt, und für uns wurden die Strapazen noch größer durch einen der
wilden Stürme aus Westen, die den Herden der Farmer im Hochland oft
beträchtliche Verluste zufügen. Die Mutterschafe suchten tapfer ihre jungen
hinter Baumstümpfen und Stämmen zu schützen, doch es starben trotzdem eine
ganze Menge. Wir mußten uns so anstrengen, daß wir abends müde in die Sessel
vor dem Kamm sanken und nur Rundfunk hören konnten oder einnickten.
Ich habe mich eigentlich im
Leben selten erkältet, aber hier war ich wohl doch zu unvorsichtig gewesen, so
daß es mich nun tüchtig packte. Drei Tage lag ich mit einem tollen Schnupfen im
Bett, ekelte mich vor jedem Essen und rief nur krächzend nach heißem
Zitronensaft. Als ich aufstand, hatte ich sehr schlechte Laune, weil es mir
peinlich war, Paul in einer Zeit des Hochdrucks nicht geholfen zu haben. Doch ich
sollte schnell Gelegenheit finden, das wieder auszugleichen, denn jetzt bekam
Paul einen, wie er sagte, ganz >urigen Schnupfen<, viel schlimmer als
meiner gewesen war. Er lehnte natürlich spöttisch ab, sich pflegen zu lassen,
und ritt weiter bei dem bösen Sturm, der auch schwere Regenschauer brachte,
durch unwegsames Gelände zu seinen Schafen, mit dem fast selbstverständlichen
Ergebnis, daß er Fieber bekam und auf eine Lungenentzündung los steuerte. »Na,
jetzt wirst du also doch im Bett bleiben müssen«, sagte ich.
Er richtete sich auf und
musterte mich erhaben. »Im Bett bleiben? Unfug. Kommt gar nicht in Frage!«
»Und weshalb nicht?«
In seiner strengen Haltung
glich er Lord Kitchener, als er antwortete: »Es gibt gewisse Verrichtungen, die
ich niemals eine Frau für mich tun lassen werde!«
»Sei nicht blöde, ja? Aber
vielleicht siehst du jetzt ein, daß der Weg zum Häuschen nicht so weit sein
dürfte? Gesagt habe ich ja schon immer, wenn mal einer von uns krank würde...«
Er krächzte: »Hatte dir doch
erklärt, daß ich keinen Zement kriegen konnte.« Sprach’s und drehte sich zur
Wand.
Ich fühlte mich dem Kommenden
nicht gewachsen und suchte telefonische Hilfe.
Larry lachte gewaltig über
Pauls Prüderie, hatte aber gleich praktische Vorschläge: »Hier ist ein Mann
vonnöten, und zwar Tim, nicht Sam, denn das würde Paul ärgern, weil er denkt,
ich erführe dann alles. Ich rufe Tim heute abend an, und zu Paul kannst du
sagen, daß ich mich mit Sam heute nachmittag um seine Schale kümmern werde. Es
wäre also vollkommen überflüssig, daß er sich aufrafft und doch nichts Rechtes
ausrichten kann, klar?«
Abends erschien Tim mit einem
Handkoffer und redete sachlich wie ein Arzt so lange auf Paul ein, bis der nachgab und sich in
das Unvermeidliche fügte. Larry arrangierte alle Einzelheiten, und ich verließ
fünf Tage lang nicht das Haus. Sam und Larry versorgten unsere Schafe — wie sie
die Zeit dafür aufbrachten, ist mir ein
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