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Frühstückspension: Kriminalroman

Frühstückspension: Kriminalroman

Titel: Frühstückspension: Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Hunold-Reime
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angeboten, ich könne am Morgen einfach nach unten gehen und die Kaffeemaschine anstellen.
    Auf halber Treppe wird mir bewusst, dass ich nur meinen Schlafanzug anhabe und es auch einen Herrn Heinrich gibt. Ich laufe zurück und hole mir meinen Bademantel.
    In der Wohnung unten ist es dunkel und still. Ich schalte kein Licht an. Warte, bis sich meine Augen gewöhnt haben und ich Umrisse erkennen kann. Wo war die Küche? Gleich die zweite Tür links. Die Wohnzimmertür geradeaus. Sie steht offen. Ich spüre einen kühlen Luftzug und gehe ihm nach. Die Schiebetür zur Terrasse ist weit geöffnet. Auch wenn dieser November ungewöhnlich mild ist: Die Zeit der offenen Türen und Fenster ist längst vorbei.
    Da sehe ich ihren Schatten. Tomke in einem langen, weißen Nachthemd in der kühlen Morgenluft. Der Mond steht noch prall am Himmel. Vor ihm wehen zarte Wolken wie aus schwarzem Tüll. Das Bild erinnert mich an Geschichten über Feen und Hexen aus meiner Kindheit.
    »Tomke!«, flüstere ich so vorsichtig, als könnte sie durch laute Ansprache wie die Nacht dem Morgen entweichen.
    Sie zuckt zusammen, als hätte ich geschrien.
    »Tut mir leid. Ich wollte dich nicht erschrecken«, entschuldige ich mich.
    »Schon gut«, murmelt Tomke und kommt ins Wohnzimmer zurück.
    »Ich stelle gleich einen Kaffee an«, sagt sie mechanisch.
    »Wunderbar, aber ich würde auch allein …«
    Sie winkt müde ab.
    »Ist dein Mann schon zur Arbeit?«, frage ich, weil ich etwas sagen will und weil ich mich ohne Herrn Heinrich im Haus wohler fühle. Ohne dafür einen Grund nennen zu können. Tomke zieht die Terrassentür so heftig zu, dass sie bedenklich in ihre Verankerung kracht. Dieses Mal schrecke ich zusammen.
    »Was ist so interessant an meinem Mann?«, faucht sie mich wütend an und rauscht an mir vorbei Richtung Küche. Ich sehe ihr verwirrt hinterher. Woher kommt diese Ladung Wut, wenn ich eine harmlose Frage nach ihrem Mann stelle? Eine Wut, die sie hemmungslos auslebt. So eine Frau habe ich noch nie kennen gelernt. Oder doch? In diesem Augenblick wird mir schlagartig klar, an wen sie mich erinnert hat: An meine Mutter. Der Gedanke lässt mein Gesicht brennen und jagt mir eine Flut von Erinnerungen durch den Kopf.
    Meine Mutter konnte wie eine sanfte Sommerbrise sein und im nächsten Augenblick ein lebensgefährlicher Hurrikan. Sie war unberechenbar. Das fand ich am anstrengendsten. Und immer ungeduldig. Ich war ihr zu langsam. Egal wie schnell ich war, ich war zu langsam für meine Mutter. Wenn wir zusammen in der Küche etwas vorbereiteten, waren ihre Hände immer schneller. Sie warteten nicht auf meine, sondern entrissen ihnen die Arbeit. Das hat mich noch langsamer gemacht.
    Tomke steht wieder neben mir: »Nun komm schon«, raunt sie versöhnlich. »Du erlebst nicht gerade meine beste Zeit. Tut mir leid. Ich bin sonst nicht so.«
    Ich starre sie an, als sähe ich sie zum ersten Mal. Ihr Nachthemd ist aus Baumwolle und altmodisch geschnitten. Verspielte Rüschen mit einem Ausschnitt aus gestickten Rosen geben ihm einen mädchenhaften Charme und stehen im Widerspruch zu ihrer sinnlichen Ausstrahlung.
    »Nun mach es mir nicht so schwer, mich zu entschuldigen«, sagt sie und hakt sich bei mir unter. Ich spüre ihren warmen Körper.
    Meine Mutter war auf der Tanzfläche. Ich drückte mich an den Rand. Suchte einen weit entfernten Tisch. Am liebsten wäre ich nach Hause gegangen. Sie tanzte so wild. Allein, wie so oft. Männer, die ihrem Temperament nicht gewachsen waren, ließ sie einfach auf der Tanzfläche stehen. Es war mir peinlich, ihre wiegenden Hüften zu sehen. Ihre ungenierte Hingabe an die Musik.
    Da traf mich ihr Blick. Bevor ich weglaufen konnte, war sie neben mir. Ihr Körper war vom Tanzen erhitzt. Ihre Hände waren heiß, und sie umspannten meine kalten. Komm, lachte sie. Mädchen, nun komm! Wir tanzten zusammen. Ich machte mich steif. Spürte, dass uns alle beobachteten. Sie umfasste mich und zog mich fest an sich heran. Ach Mädchen, mach es dir doch nicht so schwer. Als sie das sagte, waren ihre Augen liebevoll. Warum habe ich das nicht gesehen? Oder spielt mir die Erinnerung einen Streich?
    Ich sehe in Tomkes Augen. Sie sehen mich sanft an. Ich lasse mich von ihr mitziehen.
    In der Küche steht nur ein schmaler Tisch mit zwei Stühlen unter dem Fenster. Eine Lichterkette aus Plastikkürbissen ist die einzige Lichtquelle und taucht das Zimmer in ein sanftes Orange. Die Kaffeemaschine drückt brodelnd das heiße Wasser

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