Frühstückspension: Kriminalroman
ich nichts vermisst, was ich nicht hätte kaufen können.
»Ich denke, meine Papiere. Es ist so mühselig, neue zu beantragen.«
»Schlaue Entscheidung«, sagt sie und mustert mich noch einmal mit ihrem prüfenden Blick. »Übrigens, wir sind hier oben nicht so steif. Wollen wir uns nicht duzen? Ich heiße Tomke.«
Ich muss lachen. Meine Wirtin wirkt alles andere als steif. Steif wäre Reinhard, wenn er hier im Wohnzimmer sitzen müsste.
Er hätte meine Biere gezählt und sich daran gestoßen, dass Herr Heinrich nebenan vor dem Fernseher schläft und seine Gattin vertraulich wird.
Reinhard. Ich bin froh, dass sie mich nicht nach ihm ausfragt. Anders als die meisten Menschen ist sie offenbar nicht begierig auf Krankenhausgeschichten. Sie behandelt mich, als wäre ich allein unterwegs. Und das bin ich letztendlich ja auch.
»Gerne«, antworte ich herzlich. »Ich heiße Teresa.«
Wir prosten uns zu.
»Wo hast du heute Abend gegessen?«, fragt sie mich, und der Übergang zum ›Du‹ macht mir Herzklopfen. Aber es gefällt mir.
»Im alten Zollhaus.«
»Und? Lecker?«
»Ja, das Essen schon. Ich hätte nur nicht geglaubt, dass es ein Problem für mich ist, allein essen zu gehen. Ich habe es halt nie ausprobiert.«
Ich lächle Tomke an und bin ein wenig stolz darauf, so locker darüber reden zu können. Sie erwidert es nicht. Im Gegenteil, ihr Gesicht spiegelt plötzlich kalte Ablehnung. Ich schweige eingeschüchtert. Dabei war ich drauf und dran, die ganze Szene zum Besten zu geben. Warum sieht sie so finster aus? Was habe ich Schlimmes gesagt?
Die unsichtbare Mauer zwischen uns macht mich unruhig. Das Gefühl ist nicht neu für mich. Reinhard hat es mir oft gegeben. Einfach nicht mehr geantwortet, und hinterher wusste ich oft nicht mehr den Anfang unserer Auseinandersetzung und war unsicher, wer von uns beiden im Recht war. Meistens habe ich mich entschuldigt, obwohl ich selten wusste, wofür. Nur um das elende Schweigen zu beenden. Die Erinnerung macht mich wütend. Warum habe ich mir das so lange bieten lassen? Warum muss man für manche Einsichten so alt werden?
Ich sehe Tomke kampflustig an.
»Okay, ich habe ein Problem, allein essen zu gehen. Und ich habe gewagt, es auszusprechen. Was verärgert dich daran?«
Ich höre meine Worte und erschrecke vor meiner eigenen Courage. Tomke sieht mich befremdet an. Ich bete, dass sie nicht sagt, warum sollte ich mich geärgert haben? Was bildest du dir ein? Mein Herz schlägt wie ein Maschinengewehr, da antwortet sie endlich:
»Ich hasse Frauen, die damit kokettieren, nicht allein ausgehen zu können. Diese Frauen können keine Flasche allein öffnen, geschweige denn einen Nagel in die Wand hauen. Aber diese Frauen bekommen irgendwie immer alles. Sie haben zu Hause ein Musterexemplar von Ehemann. Der geht mit ihnen natürlich regelmäßig aus. Kultur mit Theaterabonnement. Anschließend Essen beim Lieblingsitaliener.«
Sie sieht mich wie erwachend an und fügt sanfter hinzu: »Tut mir leid. Das klingt ziemlich gehässig. Du hast da etwas abbekommen, was …«, sie sucht nach Worten, »es war einfach an die falsche Adresse. Schick es am besten ›Adressat unbekannt‹ wieder zu mir zurück. Aber das hast du ja schon.« Sie lächelt wieder ihr schiefes Lächeln.
Ich spüre, wie ich rot werde vor Erleichterung. Sie hat mich nicht im Regen stehen lassen. Ich habe ihr schon verziehen.
»Schon okay«, murmele ich und trinke mein Glas leer.
»Für mich war es immer normal, allein auszugehen. Allein«, wiederholt sie und ihr »allein« klingt so rührend, dass ich versucht bin, sie zu umarmen.
»Ich hole uns noch ein Bier«, sagt sie und steht auf.
Im Gehen meint sie: »Ich war auf Frauen wie dich immer neidisch.«
Ich denke an Reinhard und antworte: »Auf mich brauchst du nicht neidisch zu sein.«
Es ist noch dunkel. Ich taste nach dem Schalter der Nachttischlampe. Blinzele, bis ich die Ziffern meiner Armbanduhr erkennen kann. Kurz vor sieben. Am liebsten würde ich mich auf die andere Seite drehen. Noch ist mein Körper träge, und ich hätte keine Mühe, in den nächsten Schlaf zu kommen. Aber der kann am Morgen trügerisch sein. Meist bringt er wirre Träume. Besonders, wenn meine Gedanken so unklar sind wie im Augenblick. Danach wache ich nassgeschwitzt auf und brauche unendlich viel Zeit, mich zurechtzufinden.
Nein, denke ich und schlage entschlossen die Bettdecke zur Seite. Kaffee wäre gut und noch einen Augenblick für mich. Tomke hat mir gestern
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