Frühstückspension: Kriminalroman
lassen. Ganz normal scheiden lassen!«
»Ich auch«, sagt Tomke. »Eine Scheidung wäre schön gewesen.«
Sie sieht Maike liebevoll an.
»Aber darum geht es nicht. Wir erwarten von dir keine Absolution. Wir wollen dich nur nicht im ersten Gefühlswirrwarr gehen lassen. Diesen Kater müssen wir nicht auch noch haben.«
»Okay, ich bleibe ja noch«, sagt Maike. »Ich verurteile euch nicht. Das finde ich zwar auch eigenartig, aber es ist die Wahrheit.«
»Das reicht«, sage ich hastig und muss mich zusammenreißen, um nicht loszuheulen.
Tomke wirft mir einen schrägen Blick zu und sagt: »Stimmt, es reicht. Wir trinken jetzt in Ruhe unseren Tee. Über Gefühle haben wir jetzt genug geredet. Dann rufe ich ein Taxi. Aber das bezahlen wir! Den Wagen müssen wir erst noch sauber machen. Das hat Zeit. Jetzt atmen wir erst einmal durch: Wir haben es geschafft!«
Maike nimmt sich doch eine Tasse Tee und sieht mit einem geradezu mütterlichen Gesichtsausdruck von einer zur anderen: »Ich habe es geschafft. Ihr noch nicht. Da gibt es noch einige Hürden. Das ist euch hoffentlich klar.«
Sie hört sich wieder ganz wie Schwester Maike an und lässt uns vergessen, dass wir fast doppelt so alt sind.
»Wie meinst du das?«, fragt Tomke hellhörig. »Hast du Bedenken, dass der Kerl doch noch zur Polizei rennt?«
Maike lacht trocken. »Nein, da habe ich gar keine. Er wird noch in dieser Stunde die Akte Gerold Heinrich bearbeiten, um sie abzuschließen, wegzulegen und zu vergessen. Aber er wird sie nicht vergessen können.
Das muss euch keine Angst machen. Er wird sich nicht rühren. Aber er wird von Zeit zu Zeit nachts schweißgebadet aufwachen, weil er sich erinnert. Genau das habe ich gewollt.«
Maike lächelt bei der Vorstellung. Dann wird sie wieder ernst und senkt ihre Stimme: »Dein Hausarzt, Tomke. Der wird einen Bericht bekommen und dich sicher fragen, warum du nicht ihn angerufen hast! Das habe ich vorhin in meinem Eifer völlig vergessen.«
Tomke atmet erleichtert auf: »Ach, das meinst du. Sicher wird er das. Ich werde ihm meine Panik schildern und außerdem habe ich bei ihm angerufen. Er wird heute Morgen einen unbekannten Anrufer auf dem Display haben. Ein Glück, dass er nicht so schnell am Telefon ist wie dieser …«
Tomke scheint der Name von Sievers entfallen zu sein. Wir helfen nicht nach. Seinen Namen kann man getrost vergessen.
»Dann ist das geklärt«, sagt Maike.
»Aber nebenan liegt noch eure Leiche. Was habt ihr damit vor?«
Tomke und ich sehen uns irritiert an.
»Wie vor?«, fragt Tomke. »Er soll ganz normal in unserem Familiengrab beigesetzt werden.«
Maike bedenkt uns mit einem nachsichtigen Blick.
»Ganz normal? Das habt ihr euch nett ausgedacht, aber bevor er da ganz normal reinkann, gibt es noch …«
»Du meinst das Bestattungsinstitut?«, fällt Tomke ihr ins Wort und Maike nickt.
»Wir ziehen ihn selbst an und schminken ihn ein bisschen. Dann braucht er nur noch abgeholt zu werden. Auf keinen Fall von dem Bestatter aus Hohenkirchen. Der kennt Gerold.«
Tomke kommt ein bisschen ins Trudeln und überlegt weiter: »Wir werden sagen, dass er nicht mehr angefasst werden soll. Vielleicht aus Glaubensgründen oder so. Und er soll auch keine Besucher mehr haben.«
Ich sehe Tomke zweifelnd an. Daran habe ich überhaupt nicht gedacht. Weder an das Anziehen noch an den Rest.
»Glaubst du, da hält sich ein Bestatter dran?«, frage ich vorsichtig.
»Warum nicht? Wir haben ihnen Arbeit abgenommen. Zum gleichen Preis, versteht sich. Ich schließe jetzt mal den Zufall aus, dass der Bestatter ein verkappter Detektiv ist.«
Wenn ich an die Kette von Zufällen denke, die uns bislang verbunden hat, wird mir schwindelig. Aber den Gedanken behalte ich für mich.
»Und deine Kinder?«, fragt Maike. »Sie werden sich doch sicher von ihm verabschieden wollen.«
Sandra! Der Gedanke an sie trifft mich wie ein Stromschlag. Ich habe sie immer noch nicht angerufen. Abschiednehmen! Beerdigung! Hört es denn nie auf?
»Nein, dafür werde ich sorgen«, höre ich Tomke ganz ruhig antworten. »Ich rufe sie erst an, wenn er aus dem Haus ist. Meine Tochter will erst heute Nachmittag vorbeikommen. Meinen Sohn rufe ich an. Ich werde ihnen sagen, dass es besser ist, Gerold nicht mehr zu sehen. Sie sollen ihn so in Erinnerung behalten, wie sie ihn kennen. Sie werden es beide akzeptieren. Da bin ich sicher. Nur der Bestatter, den kann ich nicht einschätzen. Da hast du recht. Vielleicht sind sie doch
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