Frühstückspension: Kriminalroman
Gesicht sehe. Es wirkt wie erloschen. Aber ich kann schlecht sagen, ach, ich möchte doch. Lassen Sie uns ein Glas zusammen trinken. Ich bin auch so allein. Das geht einfach nicht.
Warum eigentlich nicht, denke ich und gehe schon die Deichstraße entlang in den Ort hinein.
An wen erinnert mich diese Frau vom ersten Augenblick an? Diese direkte Art. Ihre eigenwillige Garderobe. Wahrscheinlich eine völlig falsche Spur. Es ist nachgewiesen, dass Silhouette, Gestik oder Geruch das Erinnerungsvermögen erheblich verwirren können. Und um mich zu verwirren, braucht es zurzeit nicht viel.
Es beginnt zu nieseln. Die feine Feuchtigkeit legt sich auf Gesicht, Haar und Kleidung. Sie tut gut. Doch nicht lange, und ich empfinde sie als unangenehm. Ich habe keine Regenjacke dabei. Nicht einmal im Gepäck. Das habe ich viel zu hektisch, mit wirren Gedanken gepackt.
Ich gehe zügiger und bin schnell mitten im Ort. Der Regen wird immer stärker, und ich verwerfe den Plan, einen ausgedehnten Spaziergang zu machen.
Ich suche nach einem Restaurant und sehe den Buchladen. Er heißt sinnigerweise Bücherinsel. Ich gehe hinein. Weil ich ins Trockene will und weil ich Buchläden liebe. Es sind nur wenige Kunden im Laden. Die Stille ist angenehm. Eine Frau lächelt mir grüßend entgegen. Sie lässt mich ohne Nachfrage um Tische und Regale streichen. Einfach nur die Gegenwart der vielen Geschichten spüren.
Ich hatte nicht vor, ein Buch zu kaufen und kaufe eins. Dabei bin ich zum Lesen viel zu unruhig. Aber mir gefällt der Einband und ich möchte über einen Buchrücken streichen. Später, wenn ich allein in meinem Zimmer bin.
Als ich wieder nach draußen gehe, hat der Regen aufgehört. Der Wind hat aufgefrischt. Blätter wirbeln über die Straße. Fahnenmasten summen. Der November beginnt sich durchzusetzen.
Ich betrachte den Ort bei Dunkelheit und versuche, mich zu erinnern. Etwas wiederzuerkennen aus der Zeit, als ich mit Elke hier langgegangen bin. Im Sommer. Zurück von langen Spaziergängen auf dem Weg zum Parkplatz. Nie ohne ein Paket mit Kuchen. Den haben wir im Bett gegessen. Damals war es leicht, glücklich zu sein. Mit der ganzen Hoffnung auf Zukunft. Schade, dass meine Mutter mir nicht ausreichend Zeit gelassen hat. Meine Mutter. Sie war einfach nur anders als ich. Das hat uns beide verwirrt.
Sie war eine unglaublich lebenslustige Frau. Sie konnte feiern, Schnaps trinken und auf Tischen tanzen. Als junges Mädchen hat mich ihre Anziehungskraft auf Menschen, vor allem auf Männer, abgestoßen. Ich habe versucht, anders zu sein, habe mein Haar viel zu kurz getragen, mich unweiblich gekleidet, und ich hatte keine Verabredungen. Mein Mauerblümchendasein hat sie wütend gemacht. Ihre Wut hat mir gefallen. Ich fühlte mich wie eine Nonne, die die Sünden ihrer Mutter verbüßt.
Beim Kurmittelhaus drehe ich um. Es ist zu dunkel für den Strand, und ich habe Hunger. Es haben nicht mehr alle Restaurants geöffnet. Der Ansturm der Badegäste ist vorüber, und der Ort erholt sich im Winterschlaf.
»Altes Zollhaus« lese ich, und hinter den Scheiben brennt Licht. Gäste sitzen vor Gläsern und Tellern. Die Atmosphäre wirkt einladend und erinnert an einen großzügig angelegten Wintergarten. Ich überlege nicht lange und gehe hinein.
Im Eingangsbereich bleibe ich wie angenagelt stehen. Alle Tische sind besetzt. Wo soll ich mich hinsetzen? Wie eine Welle überrollt mich aufkommende Schüchternheit. Wie lange ist es her, dass ich allein am Abend essen gegangen bin? Überhaupt allein essen gegangen bin? Auf jeden Fall zu lange. Ich erwäge, mich einfach umzudrehen und zu gehen. Raus aus dem Rampenlicht. Eigentlich habe ich nur Appetit, keinen großen Hunger. Im Auto liegen noch Müsliriegel. Vielleicht hat Frau Heinrich auch eine Kleinigkeit? Hat sie bestimmt. Los, beweg dich, Teresa. Du kannst hier keine Wurzeln schlagen. Sonst starren dich gleich alle an. Ich zwinge mich, genauer hinzusehen. Das verschwommene Bild wird klarer. Niemand scheint sich um mich zu kümmern. Einige Tische sind sogar noch frei.
Erleichtert steuere ich auf einen zu. Bevor ich mich setze, lächle ich grundlos in die Runde. An einem sympathischen Männergesicht bleibe ich hängen. Viel zu lange. Bis ich das begriffen habe, hat er längst zurückgelächelt. Ich spüre die Hitze in meinem Gesicht und sehe in eine andere Richtung. Mit fahrigen Bewegungen ziehe ich meinen Mantel aus und bemühe mich, ihn lässig über einen Stuhl zu legen. Er rutscht
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