Fuchserde
ausgerechnet dieser Bauer führte den gehässigen Schlägertrupp Schwarzhemden gegen sie an.
Merk dir, mein kleiner, schlauer Fuchs: Es ist kein Verlass darauf, dass dir Menschen etwas zurückzahlen. Verlass ist nur darauf, dass sie dir etwas heimzahlen.
Barbara musste ihrem aufgewühlten Mann Fabio schwören, dass die Schwarzhemden sie nicht weiter angerührt hatten. Vor Wut und Verzweiflung und vor Ärger über seine Machtlosigkeit brüllte Fabio seine Frau an und holte aus, um sie zu schlagen. Er wollte Gewissheit haben, ob die Schwarzhemden Barbara nicht nur um ihr Haar gebracht hatten. Als er kurz davor war, seine fleischige Hand mit voller Wucht in ihr Gesicht zu schmeißen, brach er in Tränen aus, ging vor seiner Frau in die Knie und warf sich in ihren Schoß.
»Es ist alles gut, Fabio«, sagte Barbara und streichelte ihrem Mann über den Kopf.
»Ich verspreche dir, es ist alles gut, es ist sonst nichts passiert«, sagte sie.
Menschen können grausam und blind sein, mein kleiner schlauer Fuchs, sogar gegenüber ihren Liebsten. Sie schlagen zu, weil sie nicht den Mut haben zuzugeben, dass sie verzweifelt sind und schwach. Sie schlagen zu, weil sie nicht aussprechen können, dass sie sich nach Liebe sehnen, nach Sicherheit und Zärtlichkeit. Deshalb toben und prügeln sie. Heute kannst du das vielleicht noch nicht verstehen. Und ich wünsche dir, dass du es nie verstehen musst. Wenn du diese Qual aber einmal kennen lernst, dann hab die Kraft, mein kleiner Fuchs, und den wahren Stolz, aus deinem Herzen keine Mördergrube zu machen. Denn nichts tötet dich grausamer als Schmerz, den du deinen Liebsten zufügst.
Luca machte sich damals große Vorwürfe. Vermutlich, weil er sich als Anführer der Sippe für ihre Sicherheit verantwortlich fühlte.
»Ich bin schuld«, sagte er zu Barbara, nachdem Momente zwischen ihnen so aufwühlend vergangen waren wie das drohende Grollen eines aufziehenden Unwetters.
»Ich bin schuld«, sagte er noch einmal. Dann strich er ihr über die Wange und flüsterte: »Bitte verzeih mir.« Jetzt erst sah Barbara auf. Sie nahm wortlos Lucas Hand und küsste sie. Peter erzählte, dass sie einander danach in die Augen gesehen und genickt haben, als ob sie einen geheimen Bund geschlossen hätten.
Gleich nach der Vorstellung trommelte Luca alle Leute zusammen. Er ließ sie noch in derselben Nacht das Zelt abbrechen und zusammenpacken. Anders als üblich packte auch er kräftig an. Er arbeitete so hart, dass ihm der Schweiß in den Hemdkragen kroch, über den Rücken rann und von der Stirn tropfte. Luca gönnte sich keine Pause, und als sich manche hin und wieder kurz hinhockten, um zu verschnaufen, fuhr sie Luca an, sofort weiter zu machen. In den frühen Morgenstunden, als sie endlich fertig waren, blickte Luca beim Aufbrechen anders als sonst nicht noch ein letztes Mal zum Lagerplatz zurück. Er hatte sich entschieden, seine Sippe auf dem schnellsten Weg nach Österreich zu führen. Und Barbara hatte sich entschieden, fortan eine Perücke zu tragen.
So verletzt, schwach und niedergeschlagen Barbara nach der gewaltsamen Entwürdigung war, so stark und selbstsicher zeigte sie sich bald darauf. Sie wuchs über sich hinaus. Und das tat sie nicht für sich. Sie tat es für ihr Kind, tat es für ihren Mann und für alle anderen in der Sippe. Sie hatte sich zum Ziel gesetzt, die anderen aus deren Schwermut und Nachdenklichkeit zu reißen. Und von Beginn an waren es nicht ihre Verwandten, die sie trösteten, das verbat Barbara ihnen. Nein, sie war es, die alle anderen aufmunterte. Und mit jedem ihrer wie leicht dahingeworfenen Scherze wurde sie glaubhafter. Für die anderen und für sich selbst. Barbara war eine starke Frau, mein kleiner Fuchs. So wie fast alle jenischen Frauen. Aber was bleibt ihnen auch anderes übrig.
Einmal, vielleicht half ihr dabei ja auch der Gfunkerte*, der in der Runde gereicht wurde, da riss sich Barbara die Perücke vom Kopf und schrie »Was für ein Glück! Jetzt pass ich noch besser zu meinem wunder-wunderschönen Mann.« Dabei rieb sie Fabio energisch und liebevoll mit beiden Händen seine Glatze und schmatzte ihm einen Kuss darauf. Alle umsitzenden lachten aus vollem Herzen. Es war der letzte Scherz, der nötig gewesen war, um die Sache begraben zu können. Danach machte Barbara nie wieder Späße darüber. Schließlich hatte sie erreicht, was sie erreichen wollte: Die drückende Angst, die auf der Sippe gelastet hatte, war beinahe ebenso
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