Fuchserde
viele, viele andere Wege, die dir bereitstehen. Neben jedem eingefahrenen Gedanken gibt es andere, frische Ideen. Neben jeder alten Wahrheit eine neue. Und neben jeder Tätigkeit, die dir lieb und gewohnt ist, kannst du noch viele entdecken, die zu deinen werden und dir Freude bereiten.«
Eigentlich hätte sich niemand in der Runde direkt angesprochen fühlen müssen. Denn Luca hatte beim Sprechen kein einziges Mal vom Feuer aufgeblickt. Aber vielleicht war es gerade das und sein ernster Ton, weshalb sich alle persönlich berührt fühlten. Sie alle starrten ins Feuer, also in ihr Innerstes. Keiner sprach. Auch vom Wald her kam jetzt kein Geräusch. Nur das vor Hitze berstende Holz knackte unregelmäßig. Hin und wieder spuckte das Feuer glühende Holzkohlestückchen aus.
Barbaras Mann, Fabio, war es, der die knisternde Stille beendete. Fabio war, obwohl noch keine dreißig, beinahe kahlköpfig, und das machte ihn, gemeinsam mit seinem gedrungenen Körper, immer ein bisschen unglücklich. Noch mehr litt er darunter, dass er als ungeschickter Taugenichts galt und beim Zirkus von Luca nur für Hilfsarbeiten eingesetzt wurde. Fabio war nicht sicher, ob er selbst für sein Schicksal verantwortlich war, oder ob er die Schuld und damit seinen Ärger getrost auf Gott abladen konnte. Zumindest seine Glatze habe er nicht selbst zu verantworten, sagte er sich, und das beruhigte ihn für kurze Zeit ein wenig.
»Warum«, begann Fabio im Ton eines beleidigten Kindes und sah zu Luca, der noch immer ins Feuer starrte, »warum habe ich noch immer keine bessere Arbeit, wenn du doch sagst, jeder kann etwas anderes machen als das, was er seit Jahr und Tag tut.«
Luca sah auf und blickte in Augen, die traurig waren und verzweifelt und deshalb auch aggressiv.
Luca antwortete nach kurzem Innehalten: »Auf meiner langen Reise, die ich hinter mich bringen musste, um euch damals zu finden, da habe ich Menschen getroffen, die für ihren Lebensunterhalt stinkenden Müll und klebrigen Schmutz von den Straßen gelöst haben. Einige davon waren Herren, Fabio, richtige Herren, deren Sprache mehr Geist bewies als die manch angeblicher Persönlichkeit.«
»Lenk nicht ab, Luca«, entgegnete Fabio. »Sag mir, was ich tun soll, um ich selbst zu sein und trotzdem geachtet? Ich selbst und trotzdem nicht mäusearm?«
»In deiner Frage liegt schon ein Teil der Antwort«, sagte Luca und nickte aufmunternd. »Du musst herausfinden, wer du bist, Fabio. Du solltest dich nicht verstellen, solltest nicht andere nachahmen. Das hast du nicht nötig. Niemand hat das. Du solltest dein Leben auch nicht nach dem orientieren, von dem du glaubst, dass es dir Achtung, Stolz und Lowi bringt. Das führt dich letztendlich nicht zum Glück. Zum Glück führt etwas anderes: Du solltest herausfinden, wer du selbst bist, um entsprechend reden und handeln zu können.«
»Und wie merke ich, wie ich bin?«, fragte Fabio mit gedämpfter Stimme, nachdem er über Lucas Worte nachgedacht hatte.
»Du fühlst dich immer so, wie du bist. Wenn du dagegen handelst oder sprichst, spürst du es in deinem Inneren. Dann hast du ein schlechtes Gefühl. Hör auf damit. Lebe nach deinem Inneren.«
Fabios Gesichtszüge hatten sich entspannt. Er sah ins Feuer. Er schien etwas zu sehen, das die anderen nicht sahen. Dann nickte er.
»Wenn alle Menschen auf ihr Innerstes horchen würden, wäre die Welt dann das Paradies, Luca?«, meldet sich plötzlich Giorgio zu Wort, der kleine Sohn von Barbara und Fabio.
Luca lachte.
»Weißt du, Giorgio, ehrlich gesagt, nein. Das Paradies ist nicht überall, es ist auch nicht immer und ewig. Aber ich kann dir eines versprechen: Es gibt das Paradies. Gerade jetzt zum Beispiel haben wir das Glück, alle gemeinsam im Paradies zu sein. Sieh dich doch nur um. Bei dir sitzt deine Mama und dein Papa, die dich über alles lieben. Und rundherum sitzen all deine Verwandten, denen es gut geht und die sich mit Köstlichkeiten den Wanst vollgeschlagen haben.« Luca hob sein Hemd, gab sich Mühe, seinen nackten flachen Bauch herauszupressen und klatschte ein paarmal mit seinen Händen darauf. Die anderen machten ähnliche Gebärden und stöhnten zustimmend.
»Wir sind im Paradies«, fuhr Luca fort. »Wir sitzen um ein wärmendes Feuer, der Mond schenkt uns sein berauschendes Licht, du liegst auf frischem, duftendem Gras, rund um uns schläft friedlich der Wald und in ihm seine Tiere. Das ist das Paradies. Du brauchst es nicht irgendwo weit weg zu suchen
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