Fuchserde
Schneekristalle hinterlassen, als gefrorenen Beweis seiner Kraft.
Lois gab Frida, seinen beiden Töchtern und seinen zwei Söhnen noch einen raschen Kuss, riss die Tür auf, drückte sie sofort hinter sich wieder zu, damit der Frost nur ja nicht in die Stube schlüpfen konnte, kletterte auf die hüfthoch aufgestaute, eisige Schneedecke und stapfte dann mit hochgezogenen Schultern und seinen Körper gegen den Wind stemmend Richtung Hügel. Unter seinen Sohlen knirschte der Schnee.
Über dem dichten Nebel schien es doch noch eine Sonne zu geben. Lois, seine Familie und alle anderen in Amaliendorf hatten sie schon Wochen nicht mehr zu Gesicht bekommen. Aber nun schimmerte zumindest vage ihr weiches Licht durch den unendlich scheinenden, weißgrauen Polster, der schon viel zu lange bedrohlich nah über ihnen hing und der unablässig Schnee und Eis spuckte, als hasse er die ganze Welt und wolle sie bestrafen. Noch war es nicht mehr als ein Hoffnungsschimmer, der weit weg schien und an dem man sich lieber nicht erfreuen mochte, aus Angst, doch wieder nur enttäuscht zu werden. Lois sah nach oben. Dann wandte er sich noch einmal zum Haus um. Er erriet gerade noch die schwach schimmernde Öllampe, die diffuse Strahlen durch das kleine Fenster warf. Der Frost hatte dicke Eisblumen auf die Scheibe geschichtet. Lois dachte an seine Familie, die im Haus fror. Und die Hunger hatte. Und für die er nun Nahrung besorgen wollte. Obwohl der beißende Wind sein Gesicht bearbeitete und auf ihn einschlug wie tausend Nadeln, spürte er keinen Schmerz. Auch auf seine Krämpfe, die gekommen waren, als er den Hunger überwunden hatte, achtete er nicht mehr.
Er war nur noch wenige Meter von der Stelle entfernt, an der er die Fasanfalle aufgestellt hatte. Das dritte Mal an diesem Tag wollte er nun nach ihr sehen. Bisher war er stets vergebens gekommen. Das Schlimmste war dann immer die Rückkehr ins Haus, die trostlose Rückkehr zu den Seinen: Die erwartungsvollen Gesichter der Kinder zu sehen, die, wenn sie den Vater mit leeren Händen hereinkommen sahen, versuchten, ihre Enttäuschung zu verbergen. Und Frida, die immer so tat, als würde sie gar nicht hersehen, als sei es gar nicht so wichtig, ob er Nahrung brachte oder nicht. Frida, die dann aufstand, ihn in die Arme nahm und stets ein Bündel Kräuter im Rock versteckt hielt, das sie in der warmen Jahreszeit gepflückt hatte und das sie nun in der Runde aufteilte, zusammen mit je einer Schnitte Brot. Damit alle zumindest etwas zu Kauen hatten, abgelenkt waren, Geschmack im Mund verspürten. Lois fürchtete sich vor dieser Heimkehr, diesem Schmerz, vor dieser Liebe. Er beschleunigte seine Schritte. Gleich würde das Gestrüpp den Blick auf die Falle freigeben. Gleich würde er sie sehen. Gleich würde er wissen, ob er seine Familie wieder enttäuschen musste. Sein Herz schlug wild. Lois rannte die letzten Meter. Dann sah er den Fasan im zugeklappten Käfig.
Er kniete nieder. Vor Freude und Dankbarkeit rannen Tränen aus seinen Augen und gefroren auf seiner Wange. Sein Herz fühlte sich nun schwer an und wohlig satt. Er öffnete die Klappe, griff in den hölzernen Verschlag, packte den ängstlichen, mit den Flügeln schlagenden Vogel am Kragen und zerrte ihn heraus. Dann hielt Lois kurz inne, sagte »Danke« und brach dem Tier mit einem Ruck das Genick. Explosionen fuhren durch den warmen Körper des Fasans. Seine letzte Lebensenergie entlud sich und wich mit rhythmischen Zuckungen aus ihm. Lois präparierte die Falle aufs Neue, legte ein Brotstückchen in die Mitte des Käfigs und richtete das Stöckchen, das die Klappe zum Zuschlagen bringen sollte, wieder auf. Dann packte er den Vogel an beiden Klauen und trug ihn kopfüber davon. So kam er den Hügel herab.
Der Fasan war erst vor kurzem in die Falle gegangen. Er war hungrig gewesen und hatte auf der verzweifelten Suche nach Nahrung das Stückchen Brot im Holzverschlag entdeckt. Er hatte bemerkt, dass hinter ihm die Klappe zugefallen war, nachdem er durch das Loch geschlüpft war. Doch damit wollte er sich vorerst nicht beschäftigen. Er hatte nur Gedanken für die gefundene Nahrung. Erst nachdem er sie verschlungen hatte, kam die Unruhe. Dann die Angst. Und dann die Panik.
Mit jedem Schritt, den Lois, mit der Beute in der Hand, seiner Familie näher entgegenging, stieg seine Stimmung. Als er den Schein der Öllampe durch den milchigen Bodennebel flimmern sah, begann er zu laufen. Er platzte fast vor Vorfreude. Als er in die
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