Fuchserde
Schulden bei Fridas Vater hatte.
»Na ja«, hat der Bürgermeister geantwortet, »irgendwie muss man sich ja wehren gegen so einen Haderlumpen.«
Ich wollte dem Bürgermeister sagen, dass Fridas Vater nie falsch gegen ihn gespielt hat, weil es gegen einen solchen Oberdeppen gar nicht nötig gewesen sei. Aber das hab ich dann gelassen, weil es sowieso zu nichts geführt hätte. Also hab ich zum Ortsgruppenleiter Tschukal gesagt, dass er sich schämen soll, einen alten unschuldigen Mann wegzubringen und dass er ihn bitte wieder freilassen soll.
»Ich hab nur meine Pflicht getan«, hat sich der Tschukal abgeputzt. Dann hat er die Arme gehoben wie ein scheinheiliger Pfarrer in der Kirche und hat gesagt: »Alles, was jetzt mit ihm passiert, liegt nicht mehr in meiner Verantwortung.«
»Dort wo er jetzt hinkommt, geht es ihm eh gut«, hat dann der Bürgermeister gesagt und den Ortsgruppenleiter angegrinst, »dort kann er Karten spielen bis zur Vergasung.«
»Ja, genau, bis zur Vergasung!«, hat der Tschukal vor Lachen gebrüllt und mit der Hand ein paar Mal auf den Tisch geschlagen. »Und um deine anderen Leute brauchst du dir auch keine Sorgen machen«, hat dann der Bürgermeister gejauchzt vor lauter Vorfreude auf seinen dreckigen Witz, »die werden schon nicht durch den Rost fallen!«
Dass ich die beiden damals nicht auf der Stelle erschlagen habe, darauf bin ich heut noch stolz, mein kleiner Fuchs. Denn hätte ich es getan, wäre es das Todesurteil für meine Familie gewesen. Als ich aufgestanden bin, hat der NSDAP-Ortsgruppenleiter Tschukal dann zum Bürgermeister, der ja auch der Dorfwirt war, gesagt: »Geh, gib dem Karner* ein Achtel von dem Liter Wein. Weißt, eh, der Liter, den du mir schuldest für den Spielschuldenerlass des Alten.«
Ich glaube, mein kleiner Fuchs, diese Menschen waren so dumm und dumpf, dass sie die Tragweite ihrer Taten gar nicht begriffen haben. Ihre Seichtheit war so uferlos, dass ihnen tiefe Gefühle unmöglich waren. Selbständige Gedanken, über den plumpen Egoismus hinaus, waren ihnen fremd. Halte dich stets fern von solchen Menschen, mein kleiner, schlauer Fuchs, denn sie verschwenden deine Zeit und vergiften dein Gemüt.
Gefährlich wird es in Zeiten, in denen viele dieser Menschen von der Hand der Macht gefüttert werden. Wenn eine solche Konstellation eintritt, mein kleiner, schlauer Fuchs, dann ziehe deine Schlüsse und wappne dich. Und tu es rasch.
Wir haben damals noch am selben Abend begonnen, einen Tunnel zu graben. Wenn sie auch zu uns kommen sollten, um uns in ein Lager zu stecken, wollte ich vorbereitet sein. Der Tunnel war nötig, weil unser kleines Holzhaus an der Rückseite kein Fenster hatte, aus dem wir hätten flüchten können. Ich war damals sogar froh darüber, denn gäbe es ein Fenster nach hinten, hab ich mir damals überlegt, würden sie sicher das Haus umstellen, wenn sie uns holen kommen.
Den Tunnel haben wir vom hinteren Zimmer aus gegraben, gleich neben der Wand haben wir angefangen. Es war ja nur ein Durchschlupf nach draußen nötig. Die Erde haben wir in der Nacht kübelweise in den Wald getragen und den Ausgang mit Wiesenbüscheln getarnt, wobei das gar nicht notwendig gewesen wäre, weil es damals ohnehin geschneit hat.
Frida hat ihren Schwestern und ihren Brüdern geraten, sich und ihre Familien ebenso auf das Schlimmste vorzubereiten. Auch unsere zwei ältesten Kinder, die bereits eigene Familien hatten, baten wir, Vorkehrungen zu treffen. Aber keiner hielt es für notwendig, schließlich hätten sie ja nichts angestellt, sagten sie. Die Männer von Fridas Schwestern waren zu stolz, den Rat anzunehmen, weil die Idee, einen Tunnel zu bauen, nicht von ihnen selbst kam. Und Fridas Brüder protzten, dass die Nazis nur kommen sollten, dann würden sie ihr blaues Wunder erleben, dann würden sie geprügelt, dass ihnen Hören und Sehen vergehe. Schlagringe und gehärtete Hühnerkrallen lägen schon bereit, stachelten sie sich gegenseitig auf und tranken noch mehr von ihrem billigen Gfunkerten. Ja, und den Vater würden sie auch rächen. Die Gadsche würden sich noch schön anschauen, wetterten sie. Jetzt sei Schluss mit dem ständigen Kuschen und Nachgeben. Jetzt reiche es. Jetzt würden sie die Jenischen kennen lernen.
Ihre Wut, ihr Schmerz und zuletzt auch der Rausch hatten ihren Verstand betäubt.
Wir brauchten gut eine Woche, um unseren Tunnel zu graben und den Ausgang zu tarnen. Für den Fall, dass jemand anklopft, vereinbarten wir, dass
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