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Fuchserde

Fuchserde

Titel: Fuchserde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Sautner
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wurden in Vernichtungslager weiter deportiert. Im Lager selbst fanden Exekutionen durch den Strang, Erschießungen sowie Folterungen und Quälereien statt. Dokumentiert sind unter anderem Essensentzug, Prügelstrafen, »Kaltbaden«, Rundenlaufen mit Schlägen, »Bunkerstrafe« und das Peinigen durch Hunde. Neben derartigen Grausamkeiten führte bei vielen Gefangenen chronische Unterernährung, verbunden mit schwerster körperlicher Arbeit, zum leidvollen Tod.
     
    * * *
     
    Es wurde Weihnachten und wir hatten noch immer kein Lebenszeichen von Peter und seiner Familie bekommen. In dieser Zeit, als unsere Gedanken bei ihnen waren und unsere Gebete ihnen Kraft sandten, beobachtete ich Frida von weitem, wie sie vom Hügel her auf mich zugelaufen kam. Aus der Ferne konnte ich ihr Gesicht noch nicht deutlich erkennen, aber ihre Bewegungen reichten, um mich traurig zu machen.
    Sie bewegte sich nicht fließend und leicht wie sonst. Ihre Füße stelzten durch den Schnee und ihr Körper schien bei jedem Sprung vornüber zu fallen. Ihr Kopf war willenlos, wie aufgegeben kippte er mit jedem Satz hin und her. Und ihre Hände, ihre Hände schienen nach etwas zu greifen, das nicht mehr war.
    Als sie endlich vor mir stand, waren unsere Augen feucht. Das war wegen ihres Schmerzes. Ein endloser Tränenstrom war ihre Verzweiflung. Eine tiefe Leere ihre Trauer. Ihr Körper zuckte leise in meiner Umarmung. Schwer, ganz schwer hing sie an mir, als sei jede Kraft in ihr gestorben. Sie wollte mir etwas sagen, aber ihre Stimme versagte. Sie setzte an, aber die Stimme meiner mutigen, meiner stets starken Frida versagte. Sie bemühte sich immer wieder vergebens. Und dann stürzte ein Satz aus ihr: »Sie haben ihn geholt!«
     
    Frida war zu spät gekommen. Sie hatte ihren Vater besuchen wollen, der während des Biberlings hinter dem Hügel lebte, gleich neben den Holzhütten von Fridas Geschwistern. Als das Häuschen hinter den schneeschweren Stauden in Fridas Blickwinkel geriet, sah sie, wie der Lkw gerade losrollte. Auf der Ladefläche bemerkte sie ihren Vater. Wie ein Tier war er hinter Holzlatten gesperrt. An denen hielt er sich an, um nicht umzufallen. Frida sah ihren Vater, wie er sich an die Latten klammerte und durch die Spalten hindurchschaute; hindurchschaute mit einem Blick, als sei sein Abtransport voraussehbar gewesen, irgendwie selbstverständlich und ebenso hinzunehmen wie der von Schlachtvieh.
    Frida holte den im Schneematsch dahinrutschenden Wagen beinahe ein, rannte ihm hinterher, einige hundert Meter weit. Sie sah das traurigmüde Gesicht ihres Vaters. Sie spürte, dass ihr aussichtsloses Hinterherlaufen seinen Schmerz noch vergrößerte und als dieser Schmerz für sie beide unerträglich wurde, sah sie, wie ihr Vater das tat, was er schon während Fridas Kindheit getan hatte. Er riss sich ein Nasenhaar aus. Wie damals. Das Nasenhaar, diese falsche Wimper, die jeden Wunsch erfüllt, wenn man nur fest genug daran glaubt und sie auch kräftig mit einem Stoß davonbläst. Doch diesesmal konnte ihr Vater nicht überrascht tun und sagen »do schpaun au, a Wimper!«. Dieses Mal konnte er die Wimper nicht zum Vergnügen seiner Tochter auf deren Zeigefinger setzen, auf dass Frida sie wegblies und ihr Wunsch in Erfüllung ging. Dieses Mal setzte er die Wimper auf seinen eigenen Finger. Und dann blies er sie mit einem kräftigen Stoß davon, seiner Tochter entgegen.
    Frida war, als würde sie die Flugbahn der Wimper erkennen. Ihr war, als würde die Wimper durch den Wind wirbeln, auf sie zufliegen, auf und ab und dennoch ganz sicher zu ihr. Frida spürte, wie das kleine Etwas tief in ihrem Herzen landete, und in diesem Moment wusste sie, was sich ihr Vater wünschte. Also blieb sie stehen. Das machte ihren Vater lächeln. Er schickte ihr noch einen Kuss.
     
    Ich brachte Frida ins Haus und machte mich dann gleich auf den Weg zum NSDAP-Ortsgruppenleiter Tschukal. Ich wusste, wo ich ihn finden würde: im Wirtshaus.
    Er und der Bürgermeister hockten am Stammtisch und stanken beim Reden aus dem Mund. Ich brauche ihm gar nicht blöd zu kommen, hat der Tschukal zu mir gesagt, als ich nach dem Grund für die Abholung von Fridas Vater fragte. Der Alte sei schon selber schuld, sagte Tschukal, es sei ja nur eine Frage der Zeit gewesen, bis eine Beschwerde kommen würde über sein dauerndes gezinktes Kartenspielen.
    »Die Beschwerde ist sicher von dir gekommen«, hab ich zum Bürgermeister gesagt, weil ich gewusst hab, dass er einen Haufen

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