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Fuchserde

Fuchserde

Titel: Fuchserde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Sautner
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war, machte ich Halt. Hier auf der Wiese und erst recht danach, im Moor, würde der Wind und der frische Schnee, auf den ich hoffte, die Spuren der Meinen rasch unkenntlich machen. Gefährlich aber waren die Abdrücke im Wald. Hier nämlich würden sie Bestand haben. Zu lange Bestand haben.
    Ich hielt kurz Ausschau, ob mir die Nazis gefolgt waren. Doch weit und breit war niemand zu sehen. Also richtete ich mir die drei Zweige zurecht, die ich vom Stamm einer Fichte geschnitten hatte, als ich in den Wald eingetaucht war. Die weichen Spitzen hatte ich entfernt, denn der Schnee war wegen des warmen Wetters nass und so brauchte es feste Zweige, um die Spuren zu verwischen.
    Nun ging ich rückwärts. Meine Füße setzte ich gewissenhaft immer in die Spur meiner Frida. Es war ein schönes Gefühl. Mit jedem Schritt kam ich ihr und meinen Kindern näher. Beruhigend war es auch, unsere Spuren zu verwischen. Es war wie ein heiliger Akt. Ich weiß, dass du mich verstehst, wenn ich dir erzähle, dass ich mir damals, als ich mit den Fichtenästen unsere Spuren löschte, vorkam wie ein Schamane, der etwas Heiliges tut. Ein Schamane, der den Weg zu einem heiligen Ort bereitet. Einem Ort, der Ungläubigen verboten ist.
    Als ich unser Versteck nur noch dreißig Schritte entfernt wusste, hielt ich im Unterholz inne. Ich hatte es nicht vorgehabt und es mir auch nicht überlegt. Aber als ich wusste, dass ich nun daheim war, ging ich in die Knie, setzte mich auf meine Fersen, ließ die Fichtenäste auf den Boden sinken und dann tat ich das, was mein Großvater mich gelehrt hatte. Ich tat es, obwohl ich meine Lebzeit lang nie daran geglaubt hatte: Ich pfiff dem Wind.
    Ich tat es genau in der Art, wie mein Großvater es mir oft vorgemacht hatte: In hohen, langgezogenen Pfiffen rief ich den Wind und vom ersten Pfiff an spürte ich ihn. Ich spürte, wie er stärker und stärker wurde in mir, glaubte zu bemerken, wie er sich am Himmel sammelte und verdichtete, um mit Schneeflocken im Gepäck unsere Spuren zu ebnen, sie zuzudecken wie ein fürsorglicher Vater seine Kinder bei Nacht. In diesem Moment erfuhr ich, was mein Großvater gefühlt hatte, als er mich lehrte, dem Wind zu pfeifen. »Der Wind ist unser Freund«, hatte mein Großvater gesagt, »er trägt unsere Gebete zu den Göttern.«
    Auch du wirst es noch erleben, mein kleiner Fuchs: In der Not misst du unglaublicher Magie, die du zuvor milde belächelt hast, plötzlich Bedeutung zu. Als ich mein Pfeifen beendet hatte, sah ich nach oben. Die Wipfel über mir hatten begonnen, sich rhythmisch hin und her zu bewegen. Wind war aufgekommen. Wind, der kurz darauf frische Schneeflocken übers Land verteilte.
     
    Als ich bei der Restlinggrube angekommen war, sah ich endlich Frida, Maria und Heinzi. Ich war überglücklich.
    Aber ich ging nicht auf sie zu, um sie zu küssen. Ich begrüßte sie nicht einmal. Ich sagte nur vorwurfsvoll zu Frida: »Warum hast du eure Spuren nicht verwischt? Was wäre gewesen, wenn sie mich gefangen hätten? Dann hätten sie euch folgen können!«
    Frida lächelte mich an. Ihre Augen glänzten so tief, dass ich ihre Liebe sehen konnte. Und da hatte ich Gewissheit über das, was ich ohnehin schon geahnt hatte: Frida hatte die Spuren nicht verwischt, weil sie ohne mich nicht weiter leben wollte. Und: Weil sie das Bedürfnis gehabt hatte, mir den Weg zu weisen.
    Ich lachte Frida an. Dann fielen wir uns alle in die Arme.
    Schon die Tage zuvor hatten wir mit Rucksäcken Proviant, Decken, Spagat, Gewand, eine Hacke, eine Säge und einen großen Kochtopf in die Restlinggrube gebracht. Du kennst den Platz ja, mein kleiner, schlauer Fuchs. Viele sternenklare Nächte haben wir an diesem geheimen Ort schon verbracht. Du hast von den Erdäpfeln nie genug bekommen, die wir dort am Funk gebraten haben. Schon der süßlich herbe Geruch der verkohlten Schalen hat dich verrückt gemacht. Noch am nächsten Morgen, als du und ich wieder ins Dorf zurückgekehrt sind, konnte jeder sehen, was wir gegessen hatten, weil unsere Münder über und über schwarz waren wie die in der Glut verkrusteten Schalen der Erdäpfel. Ich sehe dich noch vor mir, wie deine Augen geleuchtet haben vor Begeisterung und Hochachtung, als du den Platz zum ersten Mal betreten hast, ihn für dich entdeckt hast, versteckt im dichten Wald, und mitten darin der schwere Restling, der wie ein mächtiger, langer Brotlaib über der zimmergroßen Aushöhlung liegt.
    Ich hatte dir nichts über den Platz erzählt, nichts

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