Fuck the Möhrchen: Ein Baby packt aus Roman (German Edition)
noch lichterhell angestrahlt.
Opa und Oma lächeln zufrieden, und meine Eltern liegen sich in den Armen und wirken ganz beseelt. Der Streit scheint beigelegt zu sein, und darüber bin ich so glücklich, dass ich bereit bin, mit den Nussknackern Frieden zu schließen.
Wenn sie dabei helfen, dass Mama und Papa sich als Paar wieder finden, dürfen sie ausnahmsweise gerne ein Weilchen bei uns wohnen.
Unterdrücke meine Rührung und greife mir lieber den Josef, um ihn mit mehreren Drehbewegungen vor der offensichtlich nymphomanen Maria in meiner Wippe in Sicherheit zu bringen.
~
Ein paar Tage später liegen unter dem Tannenbaum plötzlich Geschenke mit kleinen Weihnachtsmännern drauf.
Oma sagt zu mir: »Den Weihnachtsmann gibt es gar nicht, sondern nur das Christkind.«
Opa kontert entrüstet: »Natürlich gibt es den Weihnachtsmann, erzähl doch dem Kind nicht solch einen Quatsch.«
Oma bleibt beharrlich.
»Nein, das ist ein religiöses Fest, und in der Bibel kommt der Weihnachtsmann nicht vor.«
Opa rollt mit den Augen.
Oma kontert: »Den gibt es nicht, da bin ich ganz sicher, das ist eine Erfindung von Coca-Cola.«
Mir ist das egal, der Weihnachtsmann benutzt jedenfalls das gleiche Geschenkpapier wie Mama.
Mh.
Vielleicht gibt’s ja Mama nicht.
Ein absurder Gedanke, den ich sofort wieder verwerfe.
Aber zurück zum Anfang.
»Heute ist Heiligabend«, sagt Mama, als ich sie morgens wecke.
Heiligabend.
Am Morgen.
Jetzt ist sie endgültig durchgeknallt.
Oma und Opa sind zu Besuch, und Oma sagt aufgeregt, dass heute der Herr Jesus geboren werde und dass das ein ganz besonderer Tag sei.
Aha, nun ist es so weit, denke ich und warte drauf, dass wir ins Krankenhaus fahren, um das Kind von Maria und dem Typen mit der Erlöser-Anmache aus Marias Bauch zu holen. Gucke Josef mitleidig an und suche die Ohrenstöpsel, die Papa neulich neben dem Bett liegen hatte.
Dann betrachte ich Maria aufmerksam und frage mich, wie sie es geschafft hat, bis zur Geburt so gleichbleibend schlank und anmutig zu bleiben.
Während ich noch darauf warte, meinen Ganzkörper-Schneeanzug angezogen zu bekommen, sagt Mama, sie wolle jetzt erst mal Hausmusik machen, und sie packt lächelnd ihre Blockflöte aus.
Ich glaube, ich höre nicht recht.
Maria ist in den Wehen, denke ich geschockt, und ihr fangt an, auf pädagogischem Nutzholz zu tröten und zu trommeln, wie lieblos!
Mir schwant, dass sie sich vor meiner Geburt womöglich auch erst mal in aller Ruhe musikalisch selbstverwirklicht hat, das würde jedenfalls einiges erklären.
Papa guckt Mama ebenfalls entsetzt an und raunt ihr zu: »Das meinst du doch wohl nicht ernst, Heike.«
»Doch«, antwortet sie stur, »meine Mutter hat auch immer für mich an Weihnachten Blockflöte gespielt, und diese Tradition möchte ich aufrechterhalten. Wo wir doch schon keine Religion haben! Da braucht man doch wenigstens Rituale«, und sie wirft ihm behände eine zweite Flöte zu. »Hier, du Musiker, dann zeig mal, was du kannst.«
Papa schnappt die Flöte reflexartig auf und spielt erst mal Luftgitarre damit.
Ich quietsche vor Vergnügen.
Der Rest der Familie schweigt.
Mit einem Seitenblick auf Oma sagt er entschuldigend: »Ich kann nun mal keine Flöte spielen.«
Nun wird auch Mama sauer, und er setzt sich flugs ans Klavier, um den familiären Frieden nicht zu gefährden.
»›Alle Jahre wieder‹!«, befiehlt Oma.
Opa dröhnt: »Nein, ›Ihr Kinderlein kommet‹! Ich will endlich eine Großfamilie.«
Er lacht begeistert und schlägt sich auf die Schenkel. Nach einiger Diskussion einigen sich alle auf das unverfängliche ›Kling, Glöckchen, klingelingeling‹.
Opa ergänzt augenzwinkernd »... hier kommt der Eiermann.«
Oma haut ihm ihren Ellenbogen in die Rippen, und er brummt ernüchtert: »Einen Spaß wird man ja wohl noch machen dürfen.«
Nach dem Singen von gefühlten dreiundneunzig deutschen Weihnachtsliedern, in denen haufenweise Tannen, Hirten und Schneeflocken vorkommen, aber nie realistische Sachen wie Regen, Familienzwist und Stau, fragt Oma leise: »Kennt ihr eigentlich auch ›Jingle Bells‹?«
Opa, Papa und Mama drehen sich zu Oma um und verharren in Schockstarre.
»Ich hab’s doch gesagt«, raunt Papa Mama leise zu, als er sich wieder gefasst hat, »deine Mutter ist gar nicht so engstirnig, wie du immer sagst.«
»Woher kennst du denn ›Jingle Bell‹s«, fragt Mama verwundert, »mir hast du das jedenfalls nie vorgesungen, und du kannst doch gar kein
Weitere Kostenlose Bücher