Fuck the Möhrchen: Ein Baby packt aus Roman (German Edition)
erst mal links liegen.
»Was machen wir hier?«, fragt der Fliegenpilz.
» An der Straße auf den Zug warten«, gebe ich lakonisch Auskunft.
»Aha«, sagt der Pilz, »ist ja komisch.«
»Bei Harry Potter sieht man ja auch keine Gleise«, gibt die Gurke zu bedenken.
»Wenn wir bei Harry Potter wären, würde ich ihn bitten, uns die Kostüme wegzuzaubern«, murmele ich, doch ich verstumme umgehend und staune.
Da kommt tatsächlich ein Zug.
Wir sehen bunte hohe Wagen, in die man nicht einsteigen kann. Die Waggons sind nicht aneinandergekoppelt und scheinen alle überfüllt zu sein, denn Ballast wird abgeworfen.
»Der nächste Zug kommt laut Fahrplan erst nächstes Jahr«, lacht Papa und nimmt noch einen Schluck aus der Pulle.
Wie auf Kommando fangen jetzt plötzlich die Fahrgäste am Straßenrand an zu randalieren. Sie schreien Wörter in einer fremden Sprache. ›Kamelle‹, ›Strüsscher‹, ›Kölle Alaaf‹. Schrecklich.
»Die sehen ja aus wie fünfzig Karpfen mit Unterkieferlähmung«, überspiele ich meine Fassungslosigkeit.
Die Gurke lacht: »Außerdem scheinen die alle eine Es-Zeh-Hah-Schwächezu haben, sind bestimmt nicht frühgefördert worden, die Armen.«
Voller Mitleid schauen wir sie an, doch das stört sie nicht, denn sie schreien immer lauter. Die Stimmung ist kurz vorm Kippen, da tauchen Uniformierte zwischen den Wagen auf und wollen die grölende Meute mit lustigen Marschliedern für sich vereinnahmen.
Mama flüstert Papa zu: »Ein altes Konzept aus den Dreißigern«, und beide lachen wie von Sinnen.
Die Uniformierten haben wohl Angst vor einem Überfall der grölenden Meute am Straßenrand, denn sie starren auf ihre Marschgabeln wie eine Mischung aus Klaus Kinski und Gesichtswurst.
Mama denkt scheinbar das Gleiche, denn sie sagt zu Wiebke: »Mann, sind die ernst, die gucken ja, als würden hinter ihnen Medusa und der Plumpsack Hochzeit feiern.«
»Den Plumpsack kenne ich, aber wer ist Medusa?«, fragt Wiebke interessiert, doch Mama ist in Provozierlaune und singt mit Papa zusammen: »Ich bin ene Räuber.«
»Deshalb also die Maskerade«, flüstere ich der Gurke zu, »die wollen den Zug überfallen! Meine Eltern sind Bonnie und Clyde.«
Ich winke den Polizisten, die den Zug anführen, hektisch zu. Ich will auf keinen Fall in den Knast, Opa hat nämlich mal gesagt, dass es im Knast keine Kekse gibt, und auf die freue ich mich schon mein Leben lang.
Die Polizisten winken freundlich zurück, bewerfen mich mit Lakritz-Handschellen und fahren lächelnd weiter.
Die haben Schiss! Vor Mama und Papa! Doch dann sehe ich es auch. Hinter uns stehen Piraten, Wikinger, die Daltons und zehn Darth Vaders.
Die Macht ist mit uns.
Die Polizisten lächeln wie verrückt und kneifen.
Die zehn Darth Vaders schwingen ihre Leuchtschwerter und röcheln »Strüsscher, Kamelle«, woraufhin die Fahrgäste ihre Wertsachen runterwerfen, ihre Lebensmittel, ihre Stofftiere und sogar frisch geerntete und aufmerksam in Folie verpackte Tulpen. Mann, Mann, Mann, müssen die eine Angst haben.
Meine Eltern genießen ihren Status, setzen noch einen drauf und rufen: »Alles muss raus. Alles außer Tiernahrung.«
Der ganze Block lacht sich kaputt.
»Das Niveau ist fragwürdig, aber es scheint zu funktionieren«, kommentiert der Fliegenpilz trocken und kratzt sich widerwillig die Punkte aus dem Gesicht.
Dicke mit Orden behangene Männer mit Schiffchen auf dem Kopf werfen ihre riesigen Pralinenschachteln in die Fenster des Hauses hinter uns.
Sören-Wotan sagt warnend: »Dreh dich bloß nicht um – da oben wohnt der Hotzenplotz.«
Bin dankbar für die Warnung und versuche, mich unauffällig zu verhalten. Rufe auch »... melle« und kriege sofort die Taschen mit Süßigkeiten vollgestopft.
Das ist ja einfach.
Versuche es mit »Snitzel«. Das klappt aber nicht.
»Pommes.« Keiner reagiert.
»...melle.« Werde das nächste Woche im Aldi versuchen.
Plötzlich kommt eine Sambagruppe vorbeigeklöppelt.
Hier ist ja wirklich was los, denke ich, und auch Papa wiehert, der Bahnchef ließe sich echt was einfallen, um vom spärlichen Fahrplan abzulenken. Marlon und Lutz lachen tiefkehlig und öffnen weitere Bierflaschen.
»Was will denn um Himmels willen eine Sambagruppe in Köln«, frage ich die Gurke und versuche, näher an sie ranzurücken.
Sören-Wotan sagt, das sei sicher keine richtige Sambatruppe, das sei bestimmt bloß eine Demo für die faire Bezahlung bolivianischer Panflötenpflücker mit Holzallergie.
Ich
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