Fuck the Möhrchen: Ein Baby packt aus Roman (German Edition)
bliebe einem ja gar nichts anderes übrig.
Oma druckst herum und antwortet: »Das mit Johnny ist doch nicht so wichtig, aber für meine Kohlrouladen hatmich noch jeder gelobt, das ist die Hauptsache, mehr habe ich gar nicht sagen wollen.«
Sie nimmt mich flink auf den Arm, doch mir genügt ihre Erklärung nicht, und ich fange an zu schreien.
»Was hat sie denn?«, fragt Oma verunsichert, »ich bin’s doch, deine Omi, mein Schnuckelchen, gib der Omi mal ’nen Kuss.«
Ich schreie weiter, damit sie merkt, dass es mir ernst ist.
»Das ist die Fremdelphase«, beruhigt Mama sie, »das ist in dem Alter ganz normal, gib mir Mia mal.«
Auf Mamas Arm angekommen, beruhige ich mich augenblicklich, da mich die warmen, weichen Brüste kulinarisch an eine wunderbare Zeit erinnern.
Oma ist sprachlos.
Mama findet das scheinbar ganz normal und fragt beharrlich: »Nun rück schon mit der Sprache raus, wer ist denn nun dieser Johnny, jetzt lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen!« Dabei füttert sie mich mit Pastinake pur ohne Kartoffelstückchen. Igitt.
Vor Anspannung spucke ich auf ihre neue Bluse, und Mama rennt fluchend wie eine ganze Horde entmannter Mongolen in die Küche.
Oma nimmt mich auf den Arm und wischt mir den Mund ab.
Sofort fange ich wieder an zu schreien, um sie zum Reden zu ermutigen.
Oma ist nun sichtlich frustriert.
Mama kommt mit nasser Bluse wieder, ich verstumme erwartungsvoll, sie füttert mich weiter und fragt: »Und?«
»Wenn du es unbedingt wissen willst: Johnny war ein amerikanischer Soldat, der nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland stationiert war. Fertig.«
Mir würde das als Erklärung reichen, aber Mama rutschtunruhig auf ihrem Stuhl herum, und ich bekomme langsam Angst, dass sie womöglich ADHS hat.
»Ja und weiter?«, ruft Mama, und ich mache mir vor Aufregung in die Hose. Gut, dass es Windeln gibt.
Das findet Mama scheinbar auch, legt mich ganz in Ruhe auf meine Patchwork-Krabbeldecke, auf der geklonte Lamas mit ayurvedischen Chakra-Schafen gekreuzt werden, und setzt sich wieder hin.
»Nichts weiter. Er sah gut aus, und wir haben einige Zeit miteinander verbracht. Dann lernte ich deinen Vater kennen. So, und nun ist Schluss.«
»Und was war dann mit Johnny?«, horcht Mama auf.
»Was soll mit ihm gewesen sein?«, sagt Oma betont gleichgültig, doch ich sehe, wie ihre Hände unter dem Tisch den Rosenkranz kneten, als wolle sie Teig für einen ihrer zentnerschweren Amaranth-Stuten daraus machen.
»Hast du ihn nie mehr wiedergesehen?«
»Doch noch einmal kurz.«
Oma macht eine abwehrende Handbewegung und springt auf.
»Aber das ist doch sehr unwichtig, Heike. Ich hol mal den Kuchen aus dem Ofen, bin gleich wieder da. Soll ich das geblümte Service nehmen oder das blaue?«
»Mutter! Jetzt setz dich bitte wieder hin«, befiehlt Mama ungehalten, »wann war denn das, erzähl mal!«
»Och, so Mitte der Siebziger, vermute ich, da war er nochmal kurz hier in Köln.«
Mama grinst und sagt: »Aha!« Ich weiß zwar nicht genau, worum es geht, will aber kein Wort verpassen und setze mich abrupt auf.
Beide verstummen augenblicklich und gucken mich so fassungslos an, als wäre ich gerade spontan als Buddha wiedergeboren.
Gucke an mir runter und kann eine gewisse Ähnlichkeit im Bauchbereich nicht leugnen.
»Guck mal, Mia kann sitzen!«, schreit Oma erleichtert, läuft auf mich zu und flüstert mir ins reinkarnierte Öhrchen: »Gut gemacht, kleine Maus, genau im richtigen Augenblick! Danke!«
Mama flippt ebenfalls aus vor Freude, schreit ›MI-A kann si-tzen, MI-A kann si-tzen!‹ und holt sofort Papas iPhone, um ein Video von mir und meinen außergewöhnlichen Fähigkeiten zu drehen.
Werden nun wohl nie erfahren, was Oma mit diesem Johnny in Köln angestellt hat, aber egal; meine zunehmende Körperbeherrschung ist mir eindeutig wichtiger: Ich sitze!
Ein kleiner Schritt für die Menschheit, aber ein großer Schritt für mich.
Ich bin so überwältigt, dass ich umkippe.
Mama und Oma lachen.
Finde das gar nicht komisch und stelle mich schlafend, um die gewonnenen Eindrücke aus der neuen Perspektive in Ruhe verarbeiten zu können. Sitzen ist auf jeden Fall anstrengend, und die Achtung vor meinen Eltern, die den ganzen Tag im Tonstudio oder vor der Staffelei hocken, wächst ins Unermessliche.
Ab nun wird jeden Tag geübt.
~
In den letzten Wochen habe ich täglich trainiert und sitze nun wie eine Weltmeisterin. Endlich kann ich die Bücher im kompletten Regal sehen, ohne
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