Fuck
etwas sagen! Einmal, nur einmal, nicht feige sein!
„Leo …“, sagte ich leise, und verlor schon jetzt den Faden.
„Simon, ich …“, begann er ebenso konstruktiv, versuchte entschlossen zu klingen, aber ich hörte das unsichere Vibrieren seiner Stimme.
„Es ist nicht so, wie du denkst“, entfuhr mir der vielleicht abgedroschenste Satz aller Zeiten. Kein guter Anfang.
„Wie auch immer, es ist …“, murmelte er. Er war nicht wütend oder sauer, sondern kleinlaut.
Der Lift blieb stehen, die Tür schob sich auf und Leo schritt an mir vorbei aus der Kabine. Ich folgte ihm langsam, hielt ihn nicht auf.
„Warte!“, bat ich, aber so leise, dass er es nicht hören konnte.
Das erste Telefonat führte ich mit Katja, die offenbar exakt abgewartet hatte, bis ich ins Büro kam. Sie beschwerte sich über meine Taktik, das Handy auszuschalten, das wäre ja so typisch für mich – womit sie recht hatte – und fragte, ob ich bereits unterschrieben hatte. Als sie erfuhr, dass die Scheidungspapiere vermutlich gerade irgendwo zu Klopapier recycelt wurden, erklärte sie, dass sie genau damit bereits gerechnet habe. Zwei weitere Kopien wären unterwegs, eine zu mir nach Hause, eine in die Firma, sie sollten bereits heute ankommen, sie habe sie verschickt, ehe sie mir ein Exemplar persönlich ausgehändigt hatte.
Offenbar kannte sie mich besser als ich dachte.
Immer, wenn ich meinen Blick mit dem Ziel durchs Büro schweifen ließ, Leo anzusehen, merkte ich, wie er rasch hinter seinem Bildschirm verschwand. Er verhielt sich glatt so, als habe
er
einen Fehler gemacht, und das verstörte mich.
Als Punkt zwölf die Kollegen ihre Arbeit fallen ließen, um aus dem Büro in die Kantine zu flüchten, blieb ich sitzen. Ich hatte keinen Appetit. Mit brennendem Magen schaute ich Leo hinterher, der sich mit allen anderen durch die Tür schob.
Mein Blick verfing sich an seinem kleinen Hintern, den ich drei Tage zuvor noch wild geknetet hatte. Ich konnte kaum glauben, dass wir uns wirklich berührt hatten, geküsst, umarmt. Das war so unwirklich, hier, unter den grellen Neonröhren, der nüchternen Atmosphäre, dem Summen der Geräte.
Ich versuchte mich auf die Internetseiten zu konzentrieren. Wie den ganzen Vormittag bereits, klickte ich durch diverse Rechtsseiten bezüglich Scheidung.
„Simon …“, erklang auf einmal Leos Stimme. Ich zuckte zusammen.
Er stand direkt vor mir, der Körper halb verdeckt von meinem Bildschirm, und sein Blick ging mir durch und durch. Vor Schreck fasste ich mir an die Brust und ließ mich gegen die Sessellehne fallen.
„Ich hatte kein recht, einfach so aufzutauchen, im Tierpark. Das war nicht richtig von mir“, sprudelte es aus ihm heraus. „Ich hoffe, ich habe dir keine Schwierigkeiten gemacht. Ich wollte auf keinen Fall deiner Familie schaden. Wenn ich gewusst hätte …“ Er rang nach Luft, seufzte tief. „Du warst aus gutem Grund so reserviert und ich habe das ignoriert. Es tut mir leid. Ich hätte dich nicht … Aber als du … ich …“
Mir wurde heiß. Was faselte Leo denn da?
„Stopp! Stopp! Stopp!“, bremste ich ihn ab und er zuckte erschrocken zusammen.
In meinem Kopf schwirrte es nur so von seiner Entschuldigungslawine. Ich erhob mich, auch wenn meine Beine mich kaum trugen, so aufgeregt war ich, und ging um den Tisch herum auf ihn zu. Leo machte einen raschen Schritt zurück.
„Du kannst meine Familie nicht kaputtmachen“, erklärte ich und seine Augenbrauen wackelten unsicher.
Dann lächelte er auf eine verzweifelte Art erleichtert.
„Ja, das konnte ich sehen. Ihr bildet eine wunderbare Einheit. Das ist toll.“
Meinte er das ernst? Ich suchte in seiner Stimmlage, seinem Gesicht, nach Zynismus, Sarkasmus, Ironie. Nichts davon drängte sich mir auf.
„Leo, du kannst nichts kaputt machen, weil es bereits kaputt ist“, erklärte ich.
„Aber nein!“, entgegnete er, „So schnell darfst du deine Ehe nicht hinwerfen. Du darfst nicht aufgeben, denk an deine kleine Tochter …“
Das traf. Ich dachte daran, dass ich sie verlor. Ich schluckte einen dicken Kloß herunter. Was sollte das jetzt? Ich steckte die Fäuste in meine Hosentaschen, damit er nicht sehen konnte, wie heftig ich zitterte.
„Hör mir zu, Leo“, befahl ich, „du kannst meine Familie nicht kaputtmachen, weil ich das bereits vor fünf Jahren gemacht habe. Ich habe sie verlassen, da war Sophie noch nicht einmal geboren, verstehst du? Was du gesehen hast, das war kein Alltag …“
Mir ging die
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