Fuck
Angst vor einem elektrischen Schlag gehabt, ich hätte ihn glatt umarmen wollen.
„Das … hat noch keiner für mich gemacht“, sagte Fuck schließlich blechern und die Linsen seiner Objektive blitzten auf.
„Wie groß bist du eigentlich genau?“, wollte ich wissen.
„Drei Meter, vierundzwanzig Zentimeter und drei Millimeter. Und ich wiege vierhundertundsiebenundsiebzig Kilo und achthundertundzwölf Gramm“, antwortete Fuck präzise und drehte seinen Kopf surrend einige Male im Kreis. „Wahnsinn, ist das ein schönes Licht. Ich habe noch nie einen Sonnenuntergang gesehen!“
„Komm mit!“, forderte ich ihn auf und setzte mich in Bewegung. Während ich drei Schritte machte, musste er nur einen einzigen tun, stakste neben mir her wie ein Dinosaurier.
Der Tiergarten hatte schon seit zwei Stunden geschlossen und die einzigen Menschen weit und breit waren Jogger, die den Stress ihres Abends, die Kalorien ihrer Nachmittagsjause abarbeiteten, oder einen rigiden Fitnessplan verfolgten. Sie hatten Stöpsel in ihren Ohren, mit Musik als Drill Inspektor, und ließen sich durch nichts – nicht einmal einen über drei Meter großen Roboter – von ihrer Strecke, ihrem Workout abbringen. Einige variierten spontan ihre Route, wollten nicht unseren Weg kreuzen. Verständlich. Ich konnte mir kaum ausdenken, wie wir aussehen mussten.
Die meisten dachten aber sicher, ich wäre bloß irgendein weiterer Student, der seine Hausaufgaben spazieren führte. Die Jogger waren sicher einiges gewöhnt. Hier bot sich einfach eine gute Möglichkeit, Drohnen, Modellflugzeuge und Autos zu testen und ich war vermutlich nicht der erste junge Mann, der in Begleitung eines Roboters unterwegs war. Wenn auch vermutlich der erste, dessen Werk so verdammt groß war und lief, ohne dass ich einen Laptop vor meinen Bauch gespannt hatte, den ich bedienen musste um die Maschine zu steuern.
Schließlich erreichten wir die Lichtung, von der aus man einen atemberaubenden Ausblick auf die Stadt und die sie umgebenden Berge hatte. Sie begann durch Tausende, Millionen kleiner Lichter, die aus Fenstern, Straßenbeleuchtung, Autoscheinwerfern und Leuchtreklame bestanden, zu glitzern wie ein überladener Spiegel des Sternenhimmels. Je dunkler es wurde umso faszinierender, schöner, magischer wurde der Anblick.
Fuck und ich hatten uns einen Platz gesucht, saßen auf dem Rasen und betrachteten schweigend das Lichtermeer unter uns.
„Das ist der schönste Tag meiner Existenz“, hauchte Fuck schließlich, konnte sich einfach nicht sattsehen, war überwältigt. Vielleicht war ich doch nicht nur ein Schaden für die Menschheit, dachte ich, schielte dann auf das Metallinsekt neben mir: Nun, für die Menschheit vielleicht schon, aber Robotern konnte ich offensichtlich eine Freude machen. Ich langte rüber zu Fuck und legte meine Hand auf einen Greifer.
„Du hast noch einen letzten Wunsch frei“, erklärte er leise, ohne seine Objektive vom weitläufigen Anblick abzuwenden. Auf seinen Linsen spiegelten sich die Millionen Lichter, tanzten darauf sentimental wie Glühwürmchen.
„Dann ist das unser letztes Treffen, nicht wahr?“, fragte ich, mich an die Bedingung erinnernd. Vor einigen Tagen wäre das noch eine wirklich wünschenswerte, tolle Nachricht gewesen. Jetzt tat mir dieser Umstand leid.
„Ja“, murmelte Fuck, „Drei Mal. Das ist die magische Zahl aller guten Feen.“
Ich schmunzelte.
„Fee“, sagte ich, „wenn die magische Zahl drei ist, warum muss man dann viermal deinen Namen rufen?“
„Logistische Gründe“, erklärte Fuck und erfreute sich an einem Einsatzwagen, der rot und blau blinkend durch die Straßen raste.
Eine ganze Weile blieben wir so sitzen. Die Nacht hatte sich über das Land geschoben, hatte die Berge verschluckt und verlieh den Lichtern ihre ganze Leuchtkraft. Mittlerweile ließen sich die Jogger wohl Wasser aus Duschköpfen auf ihre Nacken prasseln oder zwangen sich Eiweißdrinks in ihre Mägen.
Kaum zu glauben, dass ich mieses Stück Scheiße ein Teil dieser wunderschönen Stadt war. Nun, aktuell ja eher nicht.
Aber irgendwo da unten war Leo. Was er wohl gerade machte? Ich hatte ihn nicht angerufen, wie gestern Nacht vereinbart. Er hatte todsicher kein Interesse daran, mich heute oder überhaupt je wiederzusehen. Na ja, in der Firma würde es sich wohl kaum vermeiden lassen. Aber wir hatten bisher viele Wochen verbracht, ohne Kontakt zu haben, das sollte sich auch in Zukunft bewerkstelligen lassen.
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