Fucking Berlin
und Dance-Musik tönte aus den Lautsprechern. Ich erkannte ein paar Gesichter – Leute, mit denen sich Ladja manchmal unterhielt. Fast alle schauten neugierig in meine Richtung, doch ich setzte mich alleine in eine Ecke und bestellte eine Whisky-Cola.
Der Alkohol lockerte zwar meine verspannten Schultern, aber nach ein paar Minuten hatte ich wieder Tränen in den Augen und, wie immer, kein Taschentuch dabei.
»Es lohnt sich nicht, für einen Mann zu leiden«, sagte eine Stimme hinter mir. Bevor ich antworten konnte, lag ein Tempo auf dem kleinen Tisch neben meinem Getränk.
»Was weißt du schon, wie viel Mühe das überhaupt kostet: studieren und gleichzeitig arbeiten? Und wenn du nach einem endlosen Tag nach Hause kommst, total am Ende bist und dein Freund lacht und kifft und die Wohnung sieht aus wie ein Schweinestall, was denkst du, wie man sich fühlt?«
Ich wusste nicht mal, wie mein Gesprächspartner aussah, denn ich kehrte ihm immer noch den Rücken zu. Ich hatte nichts gegen Schwule, die auf Frauenversteher machten, doch in dem Moment war ich so durcheinander, dass sogar sein Mitgefühl mich nervös machte.
»Ah ja, diese Kerle. Alle Arschlöcher und Faulpelze«, kam die ironische Antwort. »Ich war selber so einer, bevor ich dazu gezwungen wurde, ein anderer Mensch zu werden. Und ich weiß, wie viel Leid ich anderen Leuten zugefügt habe.«
Ich drehte mich um und schaute ihn an. Der Typ war höchstens einen Kopf größer als ich, machte aber einen kräftigen Eindruck und hatte ein kantiges, männliches Gesicht.
»Du bist die Freundin von Ladja, oder? Ich kenne dich«, fuhr er fort. »Na ja, zumindest habe ich dich schon einmal hier gesehen. Hier verkehren ja nicht wirklich viele Frauen.«
Ich konnte mich nicht daran erinnern, je mit ihm geredet zu haben, aber er war auch kein Mann, den man sofort bemerkt. Eher einer, der ruhig sein Bier trinkt und das Geschehen um sich herum beobachtet. Er stellte sich als Milan vor und erzählte mir etwas über sein Leben. Er war verheiratet und hatte eine kleine Tochter, von der er mir ein Bild zeigte.
Er kam ins »California« wegen seines schwulen Geschäftspartners, der dort oft Gesellschaft suchte.
»Weißt du, ich finde es gut, dass du studierst. Wenn du zwanzig bist, denkst du nicht daran, was in zehn Jahren sein wird, doch irgendwann kriegst du die Quittung. Ich hätte auch an die Uni gehen sollen, aber ich war damals zu faul. Ich wollte reisen, Party machen, Erfahrungen sammeln …« Er kratzte sich am Kinn und schaute mich nachdenklich an.
»Ich wollte immer studieren und ich weiß auch nicht, was ich sonst machen sollte«, gestand ich. »Ich will später einen anständigen Job haben. Irgendeine Knochenarbeit für sechs Euro pro Stunde, das ist einfach nichts für mich.«
Milan rückte immer näher und für einen Augenblick dachte ich, er würde mich küssen. Doch stattdessen legte er die Hand auf meine Schulter. »Ich habe Glück gehabt, dass mein Geschäftspartner mir geholfen hat. Sonst würde es mir so ergehen wie den anderen Jungs hier. Viele versacken, ohne es richtig zu merken, saufen, nehmen Drogen und sind irgendwann zu alt, um was Vernünftiges zu machen«, sagte er.
Danach stand er auf und ging. Er sagte den ganzen Abend nichts mehr zu mir, warf mir aber ab und an einen nachdenklichen Blick zu. Lange her, dachte ich, dass dich jemand wie ein Mensch und nicht wie ein Fickobjekt angesehen hat.
Ich fand es angenehm, einfach dort zu sitzen und über mein Leben nachdenken zu können. Monatelang hatte ich diesen Dreck über mich ergehen lassen, nur damit es mir besserging – und jetzt war ich mit meinen Nerven am Ende.
Ich bezahlte meinen Drink und verabschiedete mich aus dem »California«. »Irgendetwas muss sich in meinem Leben ändern«, sagte ich halblaut auf dem Weg nach Hause, und mit diesem Gedanken schlief ich ein, als ich später im Bett neben Ladja lag, der schon längst träumte.
4
WEDDING –
ZWISCHEN HÖRSAAL UND PUFF
Während meiner Rotlicht-Karriere habe ich mir oft vorgenommen, mit dem Anschaffen aufzuhören. Auf den ersten Blick schien das kinderleicht zu sein, so auch bei diesem ersten Mal, als ich wütend aus der Wohnung gerannt und ins »California« gegangen war. Die Realität sah freilich anders aus.
Hoffnungsvoll kaufte ich mir am nächsten Morgen eine Zeitung, aber die meisten Stellenangebote waren im Bereich Reinigung oder Gastronomie und die Bezahlung war so schlecht, dass ich Vollzeit hätte arbeiten
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