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Fucking Berlin

Fucking Berlin

Titel: Fucking Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Rossi
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mehr. Jedes Mal, wenn er mich auch nur anfassen wollte, musste ich andie widerlichen Typen denken, die sich sonst auf mir rumwälzten, und war dann restlos abgetörnt.
    Mein Doppelleben vor den anderen Studenten zu verstecken kostete auch immer mehr Mühe. Einmal löste ich gerade die Hausaufgaben aus der Statistikvorlesung mit zwei Kommilitonen aus dem Kurs; wir hatten uns dazu bei mir zu Hause verabredet. Im Fernseher, der im Hintergrund lief, wurde gerade ein Bericht über Zwangsprostitution gesendet.
    »Die Frauen tun mir ja leid«, kommentierte Ulrike. »Aber solange es Männer gibt, die zu Huren gehen, wird sich daran nichts ändern.«
    »Ich will nicht wissen, wie viele Professoren aus der Uni ins Bordell gehen und wie viele Studentinnen sich damit ein bisschen Taschengeld verdienen«, meinte Sascha darauf.
    »Ich weiß nicht. Ich halte diese Geschichte von der Studentin, die im Bordell arbeitet, eher für einen Mythos«, sagte ich kühl und tat so, als ob ich an einer Aufgabe weiterrechnen würde. Tatsächlich aber dachte ich in diesem Moment nur an den »Club One« und mein zweites Leben als Nancy.
    »Wir sollten heiraten. Dann kannst du Papiere beantragen und ganz normal hier arbeiten«, sagte ich eines Tages zu Ladja, als wir im Bett lagen und Fernsehen schauten.
    Er drehte sich erstaunt zu mir um. »Ich würde dich sofort heiraten«, verkündete er euphorisch.
    Ladja und ich waren inzwischen rund anderthalb Jahre zusammen. Eigentlich hatte ich meiner Mutter versprochen, nie im Leben zu heiraten, und wenn, dann erst mit dreißig, wenn ich schon einen soliden Beruf und einen Rentensparplan haben würde. Frauen, die mit neunzehn vor dem Traualtar standen, waren für mich entweder aus Versehengeschwängerte bildungsferne Dummchen oder Ausländerinnen, die bereits mit zehn Jahren einem Cousin versprochen worden waren. Auf jeden Fall hatten sie mit mir nicht das Geringste zu tun. Aber nun hatte sich die Situation geändert.
    Wir beschlossen, uns in Polen trauen zu lassen, weil es dort unbürokratischer vor sich ging als in Deutschland. Polen war in meiner Vorstellung ein Märchenland mit grünen Hügeln und mittelalterlichen Schlössern – so hatte ich es von einer Klassenfahrt nach Krakau in der elften Klasse in Erinnerung.
    Als Ladja und ich dann in unserem zweiten gemeinsamen Frühling dort hinfuhren, um endlich zu heiraten, war mein erster Eindruck allerdings niederschmetternd. Ladjas Heimatstadt an der weißrussischen Grenze war heruntergekommen und durchweg grau. Am Ufer eines trüben Flüsschens reihten sich Hausruinen aneinander, in denen Menschen wohnten. Wäsche hing zum Trocknen in der Sonne. Im Zentrum standen Gebäude aus der Jahrhundertwende, die alles andere als gepflegt waren. Überall bröckelte der Putz und die Holztüren waren morsch und voller Risse.
    Wir ließen unser Gepäck in der Pension, in der wir ein Doppelzimmer gebucht hatten, und gingen in eine Bahnhofskneipe. Drinnen war es so verraucht, dass man kaum atmen konnte. Männer saßen an langen Plastiktischen vor ihrem Bier und schauten ein Fußballspiel im Fernsehen an oder spielten Darts. Ladja traf ein paar alte Bekannte aus der Schulzeit und unterhielt sich ausgiebig mit ihnen, während ich höflich lächelnd danebensaß.
    »Mir ist langweilig. Können wir nicht woanders hingehen?«, murrte ich nach einer Weile.
    »Hier gibt es nicht viel zu sehen. Es ist halt nicht wie in Berlin«, erwiderte Ladja.
    Trotzdem verließen wir das Lokal und spazierten durch die leeren Straßen bis vor die Tore der Stadt. Als wir vor einem Waldweg standen, rief Ladja: »Hier habe ich meine Kindheit verbracht. Mit den Nachbarjungs haben wir Hütten und Boote gebaut. Holz gibt es hier jede Menge.«
    Während er dies erzählte, sah er so entspannt aus, wie ich ihn selten gesehen hatte.
    »Klingt schön«, sagte ich.
    »Es war aber nicht immer schön«, entgegnete er, sprach aber nicht weiter. Ich folgte ihm in den Wald, wir liefen Seite an Seite, atmeten die frische Luft, die nach Harz roch, und schwiegen. Nach einer guten halben Stunde standen wir auf einem kleinen Hügel, von dem aus man das ganze Tal überblicken konnte.
    »Da komme ich her«, sagte er und zeigte auf eine Betonsiedlung, die wie ein Fremdkörper inmitten der grünen Hügellandschaft lag. Fünf Minuten später standen wir vor einem grauen Klotz, der jenen in Ostberlin ähnelte, nur dass auf jedem Balkon eine Satellitenschüssel stand. Ladja zog nervös an seiner Zigarette und schaute

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