Fucking Berlin
weniger, was los war.
Als ich eines Abends um zehn die »Oase« verließ, merkte ich, dass mir jemand folgte. Normalerweise lief um diese Uhrzeit kaum jemand auf dem einsamen, nicht beleuchteten Weg, der über eine Wiese zur Straßenbahnhaltestelle führte. Ich beschleunigte meine Schritte, das Blut gefror in meinen Adern und mein Herz schlug wie verrückt.
»Stella, nicht erschrecken, bleib stehen!«, brüllte mir eine männliche Stimme hinterher. Ich drehte mich langsam um und erkannte im fahlen Mondlicht das Gesicht von Harry, Celinas Liebhaber: Halbglatze, wenige braune Haare und ein ovaler Kopf mit runder, grauer Brille, deren Gestell aus der Nachkriegszeit stammen musste.
»Was machst du denn hier?«, fragte ich erschrocken.
»Ich brauche dringend jemanden, mit dem ich reden kann. Ich weiß von Celina … ich meine, von Katia … dass du über unser Verhältnis Bescheid weißt«, brachte er stotternd heraus. Katia war Celinas echter Name.
Die ganze Situation war so komisch, dass ich unfreiwillig lachen musste. Harry stand da und schaute mich mit flehendem Blick an.
»Wie du meinst – ich wollte eigentlich nach Hause«, seufzte ich.
Während ich in seinem Auto saß, einem Audi A 4 mit Holzarmaturen und Sitzheizung, schickte ich Ladja eine SMS , um ihn über meine Verspätung zu informieren. Wir landeten schließlich eher zufällig in einer miefigen Eckkneipe in Friedrichshain, einem dieser Lokale, wo man sich nie freiwillig länger als eine halbe Stunde aufhalten würde. An der gelbtapezierten Wand hingen Fahnen von Hertha BSC und karierte, ausgewaschene Decken bedeckten die Tische. Im Hintergrund sang Andrea Berg und wir waren die einzigen Gäste.
Harry redete pausenlos und schwitzte dabei dermaßen, als hätte er gerade an einem Marathon teilgenommen.
»Ich kann es immer noch nicht fassen, dass mir so was passiert ist. Ich meine, du darfst auf keinen Fall denken, dass ich ein regelmäßiger Puffbesucher bin. Zumindest war ich es nicht, bis ich Katia getroffen habe. Ich habe auch nie an die große Liebe geglaubt. Meine Frau habe ich geheiratet, weil sie hochintelligent, gebildet und stark war. Ich habe mir immer gedacht, dass solche Eigenschaften wichtiger für ein gemeinsames Leben sind als Gefühle, die dann sowieso später verschwinden.«
Man merkte, dass er nicht daran gewöhnt war, über solche Themen zu reden. Am liebsten erklärte er Anlegern die möglichen Renditen eines Aktienpakets.
»Viele Leute finden Geld und Wirtschaft langweilig, doch ich habe mein Hobby zu meinem Beruf gemacht, deswegen hat es mir nie etwas ausgemacht, so viel zu arbeiten«, erklärte er mir. »Und dann so was: Ich verknalle mich in Katia, eine Nutte, die nicht mal studiert hat und deren Freundinnen als Kassiererinnen oder Putzfrauen tätig sind – und trotzdem fesselt sie mich so sehr, dass ich inzwischen schon meine Kunden vernachlässige und mehr Zeit im Bordell verbringe als bei der Arbeit.«
So laberte er ohne Unterlass weiter, während ich immer müder wurde. Auf der anderen Seite wollte ich nicht einfach aufstehen und gehen, denn er tat mir leid – weniger, weil er Liebeskummer hatte, so etwas passiert früher oder später jedem mal, sondern vor allem wegen der Tatsache, dass er sich über seine Probleme nicht mit einem Kumpel bei einem Bier unterhielt, sondern mit einer fremden Prostituierten ineiner verqualmten Kneipe kurz vor Mitternacht. Der Kerl musste echt einsam sein.
»Was ist mit deiner Frau?«, fragte ich.
»Sie ist vor zwei Jahren berufsbedingt nach New York gezogen. Sie ist jetzt ein hohes Tier bei einer Versicherungsgesellschaft und hat dort einen neuen Partner gefunden. Als wir das letzte Mal telefoniert haben, ging es darum, die Scheidungsformalitäten zu besprechen.«
Ich schwieg, starrte auf mein leeres Weinglas und gähnte.
»Darf es noch was sein?«, fragte die Kaugummi kauende Bedienung.
»Ich muss nach Hause, morgen habe ich um acht eine Vorlesung«, sagte ich. Harry schaute mich traurig an. »Hör zu«, fuhr ich fort, »ich weiß wirklich nicht, was ich dir raten soll. Katia hat einen Mann und zwei Kinder, die Sache ist also nicht ganz einfach. Aber nur sie kann wissen, wie wichtig du ihr bist und wie weit sie für dich gehen will.« Er guckte mich an, als ob er nicht verstehen würde, und seine Maulwurfsaugen hinter den Linsen wurden noch kleiner.
»Eine Beziehung ist ein bisschen wie ein Aktienfonds«, erklärte ich ihm. »Du kannst zwar viel investieren, weißt aber
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