Fucking Berlin
Ich war eigentlich keine gute Zuhörerin, doch von Milan wollte ich alles wissen: mit wem er das erste Mal Sex gehabt hatte, wie seine Eltern sich kennengelernt hatten, wie sein Vater, seine Mutter und sein Lieblingsonkel hießen und wie seine Polnischlehrerin ausgesehen hatte, in die er mit elf verliebt gewesen war.
»Du denkst, dass es egal ist, wenn du jetzt in einem Puff arbeitest«, sagte er irgendwann plötzlich. »Doch später wirst du Narben haben, auch noch in fünfzehn oder zwanzig Jahren.«
Ich wollte ihn fragen, ob er je verletzt worden war, doch da zog er schon mein T-Shirt aus und streichelte meinen Hals mit seinen Lippen. Ich dachte für einen Augenblick, wie anders es mit ihm war, so anders als die Quickies in der»Oase«, wo eine Nummer für mich eigentlich nicht mehr bedeutete als eine belanglose Gymnastikübung.
Es wurde kühler, die Sonntagsspaziergänger verließen langsam den Park. Nur wenige Seelen streiften noch über die Wege: ein Obdachloser mit einer Stofftasche voller Pfandflaschen, eine Kifferclique mit zwei Schäferhunden, die über die Wiese tobten, und eine alte Frau, die am Teich stand und Enten fütterte.
»Nicht hier«, protestierte Milan, als ich mich daran machte, auch sein T-Shirt auszuziehen, doch ich spürte den Puls in seinen Fingerspitzen und Wellen reinen Glücks durchfluteten meinen Kopf.
Ladja bemerkte nichts von mir und Milan, oder zumindest tat er so, als sei alles in bester Ordnung. Am Ende des Sommers fand er einen Job in einer Kneipe, wo er dreimal die Woche putzte und aufräumte. Obwohl es nur vierhundert Euro im Monat brachte, musste er nun zumindest früh aufstehen und faulenzte nicht den ganzen Tag in der Wohnung.
Ich zwang mich, nie in Anwesenheit meines Mannes an Milan zu denken. Es gelang mir auch meistens, nur manchmal bohrte er sich hartnäckig in meinen Kopf. Wenn die Sehnsucht nach ihm zu groß war, fragte ich Ladja ganz nebenbei, ob er nicht Lust hätte, ins »California« zu gehen. Meistens lautete die Antwort ja – für eine Kneipentour war er immer zu haben. Dann schminkte ich mich mindestens eine halbe Stunde lang, zog meine Cowboystiefel aus blauem Leder an (die ich nur zu besonderen Anlässen trug) und suchte im Schrank nach dem richtigen Outfit. Ladja dachte, dass ich mich für ihn hübsch machte, und hielt seine Komplimente nie zurück, was mir zusätzlich schmeichelte. Oft bekam ich Schuldgefühle ihm gegenüber. Trotz all seiner Macken: Er liebte mich – und ich betrog ihn schamlos.
Doch dann dachte ich mir, dass Männer schon seit Jahrhunderten Geliebte haben durften, ohne dass sich jemand groß darüber aufregte, und selbst wenn die Ehefrau davon erfuhr, ließ sie es oft geschehen nach dem Motto: »So sind sie halt, die Männer.« Und ich sollte mir diese Augenblicke reinen Glücks verkneifen? Dafür war das Leben zu kurz.
Hauseingänge und verlassene Baugelände wurden zu meinen und Milans Verbündeten. Wenn sein Freund Mario in der Werkstatt schlief, blieb uns nichts anderes übrig, als es draußen zu treiben, was unbequem und aufregend zugleich war. Einmal, es war schon Ende Oktober, trafen wir uns an einem leeren Parkplatz unter einer Autobahnbrücke. Ich bekam davon einen üblen Schnupfen. Als ich in der »Oase« erzählte, wie es zu der Erkältung gekommen war, lachten sich die Mädchen fast tot. Seit ich Vera einmal von meiner Affäre erzählt hatte, wusste ohnehin der ganze Club davon, die Geheimniskrämerei machte also keinen Sinn mehr.
»Zum Glück ist es noch nicht richtig kalt. Stell dir vor, es wäre Januar gewesen«, kommentierte Jana.
»Bis dahin ist es bestimmt vorbei. Der Kerl ist verheiratet, so etwas geht nie lange gut«, war Anjas Beitrag. Ich schaute sie fast beleidigt an.
»Sie hat recht«, meinte auch Isa. »Er sucht im Prinzip nur Sex, genauso wie die Typen, die hierherkommen. Nur dass er dafür nichts bezahlt – hat er auch gar nicht nötig, denn du machst es ihm umsonst, weil du dämlich und verliebt bist. Kenne ich alles, habe ich auch schon ein paar Mal durchgemacht.«
Nur Celina beteiligte sich nicht an der Unterhaltung. Sie saß stumm auf dem Sofa und strickte einen grünen Schal für eine ihrer Töchter. Nur als Isa ihre scharfen Bemerkungen fallenließ, hob sie kurz den Kopf. Ich wusste, dass sieund Harry immer noch zusammen waren – er kam fast jeden Tag und blieb manchmal mehrere Stunden in der »Oase«. Offiziell war er natürlich nur ein Kunde, doch viele der Frauen ahnten mehr oder
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